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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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die Herzogin und lächelt kühl. »Zuerst dein ältester Sohn und nun auch dein zweitältester.«
    »Hildebert scherzt«, kommt Mechthild ihrem Mann zu Hilfe, der aber nicht so aussieht, als bemerke er es. Er steht mit dem Rücken zum Langtisch und glotzt seinen zweitältesten Sohn an, der den Auftritt am Langtisch gar nicht mitbekommen hat.
    »Aber Hildebert«, ruft der Herzog, sodass der Herr des Hauses sich umdrehen und Drutwin vergessen muss.
    »Mein Herr?«, sagt Hildebert und verbeugt sich linkisch in Richtung des Herzogs, der die Arme vor der Brust verschränkt hat, als habe er etwas Ernsthaftes auf dem Herzen.
    »Sollte die Herzogin vor mir sterben«, sagt er geradeheraus, und Mechthild zuckt zusammen. Er nickt seiner Gattin zu und unterdrückt ein Lächeln, aber Mechthild wagt es trotzdem nicht, sie anzusehen.
    »Ja, mein Herr?«, antwortet Hildebert. Er hat sich immer noch nicht auf seinen Platz gesetzt, sondern steht dem Herzog gegenüber und hält sich an der Tischkante fest, sodass der Diener es schwer hat, zu ihm hinzukommen.
    »Dann will ich nur eine haben«, er macht eine lange Pause und gibt sich Mühe, ernsthaft dreinzublicken.
    »Hildegard!« Der Herzog streckt die Arme nach dem Mädchen aus, doch das Kind weicht zurück. Hildebert sieht verblüfft aus. Es dauert ein wenig, bis die Worte des Herzogs durch seinen Rausch dringen. Dann lacht er, langt mit der Hand über den Tisch und drückt die seines Herrn. Spaßend legt Ursula ihre Hand über die der beiden Männer, als wolle sie den Pakt besiegeln.
    Hildegard kann die Tränen nicht zurückhalten. Sie hört Mechthild sagen, es sei nur ein Scherz, aber sie glaubt ihr nicht. Mechthild hat Herzklopfen und ihre Handflächen schwitzen. Eheabsprachen sind nichts, womit man scherzt, selbst dann nicht, wenn sie in Trunkenheit getroffen und von einer Frau besiegelt werden.
    Der Herzog wendet sich wieder dem Kind zu, sie hat den Kopf an Mechthilds Brust vergraben. Er streichelt ihr unbeholfen über den Rücken und beugt sich zu ihr hin.
    »Ach, meinst du tatsächlich, ich sei so hässlich?«, fragt er. Hildegard presst das Gesicht noch fester an ihre Mutter.
    Er schiebt beide Hände unter Hildegard und zieht sie an sich. Sie wehrt sich mit Armen und Beinen. Der Herzog ist stärker, er hält sie so fest, dass sie sich nicht rühren kann, sein Bartkratzt ihre Haut, und Rotz und Tränen bleiben in dem schwarzen Vollbart hängen. Zuletzt hat sie keine Tränen mehr in sich.
    »Nun ist sie sicher müde«, versucht Mechthild, während Agnes unruhig hinter dem Langtisch von einem Fuß auf den anderen tippelt.
    Der Herzog löst seinen Griff, und Hildegard klettert wieder hinüber auf den Schoß ihrer Mutter. Sie stiert hinunter auf das fleckige Tischtuch und den schmutzigen Teller ihrer Mutter. Am Rand liegen kleine Knochen von Wachteln und Tauben.
    »Sie ist nicht sehr stark«, sagt Mechthild entschuldigend.
    »Nun sieh einmal«, sagt der Herzog mit milder und kindlicher Stimme, »ich habe etwas für meine kleine Zukünftige.«
    Angespannt erwidert Mechthild sein Lächeln, aber Hildegard unternimmt keinerlei Anstrengungen, interessiert auszusehen.
    Der Herzog schiebt die Hand unter sein Wams und holt eine lederne Schnur mit einem blank polierten Anhänger hervor. Er zieht sie über den Kopf und legt sie um Hildegards Hals. Sie sieht ihn an mit einem Blick, in dem keine Angst oder Wut ist, der aber so durchbohrend ist, dass selbst der Herzog zu schrumpfen scheint.
    Seine Hand zittert, als er nach seinem Becher greift. Mechthild erkennt die Gelegenheit und setzt Hildegard mit einer raschen Bewegung auf den Boden. Agnes ist sofort da, um das Kind ins Bett zu bringen.
    »Es ist das Horn eines Einhorns«, sagt der Herzog und dreht sich dabei halb um. Er zeigt auf den Anhänger an Hildegards Hals. Hildegard sagt nichts, aber Mechthild drückt auf ihrem Stuhl den Rücken durch, sitzt jetzt ganz gerade. Das Horn eines Einhorns hat heilende Kräfte, ist aber nur schwer zu beschaffen. Sie lächelt erleichtert und voll aufrichtiger Dankbarkeit.
 

 

12
      
Noch bevor sie aufwacht, kann Hildegard es spüren. Ein großes, nasses Tier hat sich auf ihre Brust gesetzt. Sie liegt ganz still in der Dunkelheit. Eine Katze? Das Tier wirkt größer. Einer von Vaters Hunden? Das Tier hat ein längeres und weicheres Fell. Es muss im Bach gewesen sein, so nass wie es ist, muss über die Wiese gelaufen, über die Mauer geklettert sein oder sich durch ein Loch zwischen den Steinen

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