Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
in seinem Zuhause angekommen waren. In ihrem Zuhause, wo die Mägde und Knechte standen und lachten. Oftmals machten sie sich noch nicht einmal die Mühe, es vor ihr zu verbergen, und sie hatte Angst. Nachts lag sie wach, noch lange nachdem Hildebert neben ihr eingeschlafen war, lauschte nach Schritten hinter der schweren Holztür. Sie hatte befürchtet, das Haus sei verflucht, und obwohl sie später darüber lachen konnte, wirft genau derselbe Gedanke nun seine Schlinge nach ihr aus und legt sich wie eine Fessel um ihre Beine. Die Nägel in den Schläfen helfen nicht, und so stößt sie ihren Körper mit aller Kraft gegen die Tischkante, schlägt die Hüfte gegen das harte Holz, dass der Schmerz durch ihren Unterleib jagt.
Sie hatten gelacht. Sie war ein unwissendes vierzehnjähriges Mädchen mit flussbraunen Augen und einem Körper, der in einem Mann weit über ihrem Stand die Begierde geweckt hatte, sie zur Frau zu nehmen. Es war ein böses und heimliches Lachen, das sie jetzt wieder fühlen kann, als habe es sich in den Steinmauern festgesetzt oder im Bach geschlummert, als würde es mit dem Gestank von Herbst ins Haus geweht. Hildebert hatte sich nicht darum gekümmert, obwohl sie versucht hatte, mit ihm darüber zu sprechen. Er war zufrieden mit seinem Verwalter und mit seinen Leuten, die ihre Arbeit gut und sorgfältig ausführten und auch das Haus instand gehalten hatten in den Zeiten, in denen er bei Hofe oder auf dem Schlachtfeld gedient hatte.
War Hildebert zu Hause, wollte er sie in jeder Nacht gleich mehrere Male haben, und sie konnte nicht begreifen, wie ein einzelner Mensch eine solche Kraft besitzen konnte. Oft wünschte sie sich, er würde ihrem wunden Schoß ein wenig Ruhe gönnen, aber wenn er fort war, vermisste sie ihn doch. Wenn sie damals an ihn dachte, durchlief sie ein Schauer aus Sehnsucht und Verlangen. Mit seinem Feuer hatte er ihr Fleisch entzündet, und sie hatte sich geschämt über die Wildheit, die in der Nacht über sie kommen konnte. Auch wenn er ihr am Tag danach frech ins Gesicht lachte und die Male vorzeigte, die sie an seinem Hals und auf seiner Brust hinterlassen hatte. Es war nicht natürlich, dachte sie. Es war nicht natürlich, dass sie nachts ein Mensch voller tierischer Begierden sein konnte und am Tag ein ängstliches, untertäniges Mädchen war.
Hildebert kommt erst in zehn Tagen wieder aus Sponheim zurück, und das ist gut so. Dann muss er nichts erfahren von dieser sonderbaren Begebenheit mit dem Tier im Traum. Als sie ihre Tür für ihn verschloss, flehte er sie an, aber er brauchteniemals Gewalt. Einmal schlief er vor ihrer Tür. Die Dienerschaft bemerkte ihn und machte sich darüber lustig. Sie selbst wäre beinahe über seinen großen Körper gefallen, der zusammengekrümmt wie ein Hund auf dem Steinboden lag. Er hatte seinen Mantel über sich gelegt, und sein Kopf ruhte auf dem einen Arm. Als sie sich über ihn beugte, fuhr er hoch, einen wilden Ausdruck in den Augen. Später am selben Tag war er nach Sponheim geritten und hatte sich mehrere Wochen lang nicht zu Hause blicken lassen.
Sie schließt die Augen. Beim Gedanken an Hildebert senkt sich ein überraschender Friede über sie. Letztlich hat er aufgehört, an ihre Tür zu klopfen, und es ist lange her, dass er vulgäre Andeutungen gemacht hat. Er wird seine Lust wohl andernorts stillen, denkt sie und dreht geistesabwesend den Ring an ihrem Finger. Der Gedanke daran behagt ihr nicht, aber solange sie kein Gerede hören muss und solange sie sich nicht um seine unehelichen Kinder kümmern soll, kann sie damit leben.
Sie setzt sich an den Tisch und stützt den Kopf in die Hände. Auf Unrast folgt Erschöpfung, und es ist, als könne sie sich gar nicht mehr richtig erinnern, worüber sie so aufgebracht war. Als Agnes und Hildegard kommen, schaut sie die beiden etwas desorientiert an, das Kind mit dem stramm geflochtenen Haar und dem hellblauen Kleid, Agnes mit gebeugtem Kopf und der immer noch glühenden Wange.
Agnes ist ein gutes Mädchen. Vielleicht nicht die Gescheiteste, aber treu und gut. Es war nicht richtig, sie zu schlagen, das sieht sie jetzt ein und will es wiedergutmachen, indem sie das Kindermädchen mit am Tisch sitzen und mit ihnen essen lässt. Mechthild teilt das Brot, gibt zuerst Hildegard etwas, die sich dicht an sie drängt und die Beine unter dem Tisch vor und zurück schwingt, die Kruste in Bier einweicht und daransaugt wie ein Kleinkind. Agnes zupft missmutig und nervös unter dem Tisch
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