Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
finden wird, in ihre Fußstapfen zu treten und ebenfalls Nonne zu werden, wenn sie alt genug ist. Mechthild hat es sich so deutlich vorgestellt, wie das fromme Leben das Kind vor dem Argwohn in seiner Umgebung schützt, wie es dem Kind einen angesehenen Platz im Paradies sichern wird, sollte sie sterben, bevor sie erwachsen wird.
Hildebert schüttelt den Kopf und steht auf, aber sie kennt ihn gut genug um zu wissen, dass er darüber nachdenkt.
»Sophia ist trotz allem Hildegards Patin«, setzt sie wieder an. »Und die Lobpreisungen der Frömmigkeit Juttas sind allerorten zu hören. Deine eigene Schwester hat mir erzählt, Juttahabe beschlossen, ihr Leben Gott zu widmen, schon als sie dreizehn war und ein fürchterliches Fieber überstanden hatte. Seitdem hat sie alle Freier abgewiesen, die ihr Aussehen und ihr Stand anlocken.« Mechthild zögert einen Moment. »Selbst Vater Cedric hat von ihr gehört und sie ein Vorbild für alle jungen Frauen genannt«, fügt sie hinzu, verschweigt aber, wie oft sie Vater Cedric aufgesucht und ihn wegen Hildegard um Rat gefragt hat. »Sie hat denselben Unterricht in Latein erhalten, den auch ihr Bruder bekam, und könnte …«
»All das weiß ich«, unterbricht er sie wütend. Sie will seine Wut nicht reizen und schweigt.
Im Saal wird es schrecklich still, Falk winselt im Schlaf und scharrt mit den Vorderpfoten in der Luft herum, ohne sich dessen bewusst zu sein.
»Jutta«, sagt er und zuckt resignierend mit den Schultern. »Sie will Inklusin sein, wusstest du das? Sie hat den Bischof um Erlaubnis ersucht, als Klausnerin eingemauert zu werden, im Kloster bei Disibodenberg, wenn es wieder eingeweiht wird, und das wird wohl kaum mehr als ein paar Jahre dauern. Zu diesem Zeitpunkt wird Hildegard zehn sein, und Jutta nicht älter als achtzehn.«
Mechthild nickt. Das lässt die Idee in einem noch besseren Licht erscheinen, doch das versteht er nicht. Wenn Hildegard mit niemandem spricht als mit Jutta, wird es auch Juttas Sache sein zu entscheiden, wie sie mit den Erscheinungen und Ahnungen des Mädchens umgehen will. Dann werden Jutta und der Abt herausfinden müssen, ob sie aus dem Himmel oder der Hölle kommen, und noch nie hat sie gehört, dass ein Kind aus einem Kloster verwiesen wurde, weil es mit dem Teufel im Bunde stehe, unter keinen Umständen. Ihre Hände zittern bei dem Gedanken, und sie steht wieder auf. Sie stellt sich vor dieFeuerstelle, reckt die Hände zur Glut hin. Bevor er spricht, weiß sie, dass Hildebert es nicht so sieht wie sie. Er sieht nur die Enge der Zelle und Hildegard, die ihren Vater verlässt, um Gott zu suchen; und seine Unwilligkeit, sein Opfer zu bringen, versetzt sie in Wut.
»Zehn Jahre, ein reines Kind«, schnaubt Hildebert. »Für die Welt ist Hildegard dann gestorben, willst du das? Soll sie den Rest ihres Lebens abgesondert von allem und in Armut verbringen? Lebendig begraben? Auf diese Weise gibt man Kinder nicht ins Kloster!« Jetzt ist er es, der mit langen, ungeduldigen Schritten durch den Saal zu wandern.
»Hättest du vorgeschlagen, sie solle Oblate werden in einem Nonnenkloster, in Mainz oder in Worms, hätte ich dich verstanden. Aber Disibodenberg.« Er bleibt stehen, breitet die Arme aus und kehrt die Handflächen nach oben, und Mechthild spürt, dass sie ein wenig warten muss, bis er sich ausgetobt hat.
»Disibodenberg«, höhnt er und stochert mit dem Schürhaken in der Glut herum. Dann setzt er ihn hart auf den Boden, lässt ihn los und mit einem Knall auf den Stein fallen, der den Hund auf die Beine bringt. Dumm und verwirrt steht der da und sieht seinen Herrn an.
»Es wird zu dieser Zeit nicht einmal fertig erbaut sein. Erzbischof Ruthard ist erst letztes Jahr aus seinem Exil zurückgekehrt, und obwohl er schon in Hildegards Geburtsjahr den Wunsch geäußert hat, die Geistlichen zu vertreiben, die auf Disibodenberg leben, ist daraus bis heute nichts geworden. Und zu einem solch berüchtigten und trunksüchtigen Haufen willst du sie ja wohl nicht schicken? Oder willst du das? Sie wurden bereits der Simonie, der Gier und des Müßiggangs beschuldigt.« Mechthild tritt einen Schritt zurück, als sich Hildebert vor ihr aufbaut, rot im Gesicht und völlig aufgebracht. »Sogarder Hurerei!«, schleudert er ihr in einer Kaskade aus Speichel entgegen.
»Nein«, flüstert sie und beugt den Kopf, »aber so wird es ja auch nicht bleiben.« Da er sie nicht unterbricht, fährt sie mit derselben leisen Stimme fort. »Der Erzbischof will
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