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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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der heiligen Stätte doch gerade Ehre erweisen, nicht wahr?« Sie blickt auf den Rücken ihres Mannes, als er sich an den Tisch setzt. »Vater Cedric sagt, Erzbischof Ruthard habe große Pläne mit der Stätte. Er will Mönche vom Sankt Alban-Kloster in Mainz dort einziehen lassen, vielleicht könnte es sogar Roricus sein, der … Und Ruthardt will die Stätte neu formen, er will die Heiligkeit streng in Ehren halten und nicht zulassen, dass es jemals wieder zu weit geht. Vater Cedric hat den Erzbischof sagen hören, er wünsche, die Stätte werde wieder erschaffen wie zur Zeit Sankt Disibods, mit ebenjener Frömmigkeit und Strenge.« Die Worte sprudeln ihr förmlich aus dem Mund, doch dann gehen sie ihr aus, und sie fühlt einen Widerwillen in sich aufsteigen, dazustehen und zu ihrem Mann zu sprechen, als sei er ein unwissendes Kind. Er kennt den Erzbischof besser als sie. Sie hat ihm nur einen Gruß dargeboten, kurz nachdem er aus seinem Exil nach Mainz zurückgekehrt war. Sie hat auch an Roricus gedacht. Daran, ob er vielleicht nach einiger Zeit Abt in dem neuen Kloster werden könnte. Mechthild wendet Hildebert den Rücken zu.
    »Jutta hat bislang noch nicht einmal die Erlaubnis des Erzbischofs erhalten. Und für gewöhnlich kann man nur Inkluse werden, wenn man bereits die Klostergelübde abgelegt hat, in einen Orden aufgenommen wurde und schon viele Jahre im Kloster verbracht hat. Wie kannst du dir da vorstellen, Jutta bekäme die Erlaubnis, Hildegard mitzubringen?« Er kneift die Augen zusammen.
    »Das weiß ich nicht«, flüstert Mechthild, »aber sie benötigen viel Land, um sich selbst versorgen zu können.«
    Hildebert klatscht in die Hände und lacht höhnisch. »Ja, wir können sie loswerden dafür, dass wir der Kirche auch noch Land dazugeben«, spottet er. »Stellst du dir so vor, dein Jüngstes loszuschlagen?«
    »Das weiß ich nicht«, flüstert sie wieder, und es ist wahr. Sie wünschte, sie könnte weinen. Sie kann gerade noch sehen, wie Hildebert sie höhnisch und stumm nachäfft. Das weiß ich nicht .
    »Doch ohne darum zu ersuchen, kann nichts daraus werden«, flüstert sie.
    »Dann soll sie also auf einer kalten und abgeschiedenen Bergseite leben. Wie sollte das etwas Gutes für sie bewirken?« Er steht auf, geht auf sie zu.
    »Ihre Frömmigkeit reicht so weit«, sagt Mechthild, immer noch mit dem Rücken zu ihrem Mann. Obwohl sie ihre Zweifel hat, ist es das einzige Argument, das sie hat. »Das ist ihre einzige Rettung.«
    »Ja?« Hildebert bleibt hinter ihr stehen, packt sie an den Schultern und dreht sie herum, sodass sie sich Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Sie betrachtet seine Schuhspitzen. »Und wie kannst du dir ihrer Frömmigkeit so sicher sein, Mechthild?«
    »Ich weiß es aus meinem ganzen Herzen«, lügt sie und zwingt sich, ihm in die Augen zu sehen. Seine Strenge kennt sie, aber auf seinen Kummer ist sie nicht vorbereitet.
    »Du musst wissen, dass ich Tag und Nacht bete, der Herr möge uns zeigen, was wir mit diesem Kind tun sollen, bitte um seine Gnade, um …« Sie kann die Worte nicht länger in sich halten und platzt mit all dem heraus, das sie ganz entschieden nicht hatte sagen wollen. »Sie wird niemals ein Kindbett überleben, sollte sie wie durch ein Wunder überhaupt lange genug leben, um erwachsen zu werden. Sie gehört nicht in das Gewimmel aus Menschen und Tieren, wie es hier ist, Hildebert. Siehst du nicht, wie ihre Augen und ihr Haar allen Glanz verlieren, sobald der Frost einsetzt? Wie sie ängstlich wird in dem Treiben und dem Trubel und bei lauten Geräuschen, wie die Lebenskraft sie vollkommen wider die Natur immer gerade dann verlässt, wenn das Gras grünt? Der Gestank des Dorfes geht ihr ins Blut, und ihre Lippen nehmen die Farbe von Galle an. Ich glaube, das Kind hat gerade so viel Zeit im Bett verbracht wie außerhalb des Krankenlagers. Und du hast selbst einiges gehört von dem, was sie sagt!« Mechthild wirft sich ihm mit plötzlicher Heftigkeit entgegen. Sie klammert sich an ihn. »Du musst auf mich hören«, weint sie, »ich weiß nicht mehr weiter.«
    Er stößt sie von sich, und sie taumelt, schluchzt, als habe sie den Verstand verloren. Sie steht so nah an der Feuerstelle, dass ihre Haut heiß wird. Er schlägt mit der Hand auf den Tisch, verbissen, aber nicht hart.
    »Sie prophezeite, Hedwigs Kind sei tot«, flüstert sie und presst die geballte Hand auf die Lippen. Es dauert eine Ewigkeit, bis er es vom Tisch zur Feuerstelle geschafft hat.

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