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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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verklungen.
    »Sie konnten sich nicht vorstellen, dass wir schwimmen können.«
    Gisla blickte sich um. Im Morgenlicht wirkten die Klippen steiler und schroffer als in der Finsternis. Der Gedanke, wie leicht sie hätten umkommen können, erschreckte sie jetzt noch mehr als in der Nacht, als sie erbittert um das Leben gekämpft hatte. Vielleicht, ging ihr durch den Sinn, wäre es besser gewesen zu sterben. Dann müsste sie nicht diesen Hunger ertragen. Nicht diesen trostlosen Morgen. Nicht diese Kälte.
    Die Sonne ging auf, hatte sich jedoch hinter den Wolken versteckt, und ein Feuer konnten sie nicht machen, ehe sie sich nicht ausreichend von den Klippen entfernt hatten.
    So mutlos sie sich zeigte, so energisch gab sich Runa. Sie entschied, dass sie sich lange genug versteckt hatten, und zog Gisla mit sich.
    »Und was jetzt?«, fragte Gisla nach einer Weile.
    »Wir müssen weg«, erwiderte Runa, »weit weg.«
    »Und dann?«
    »Wenn die Sonne höher steht, werden unsere Kleider trocknen.«
    »Und dann?«, fragte Gisla wieder.
    Runa zuckte ratlos die Schultern. »Dann laufen wir nicht mehr in nasser Kleidung umher.«
    Aber Heimatlose werden wir immer noch sein, dachte Gisla.
    Auch wenn endlich die Sonne am Himmel hochkroch - die Luft blieb feucht und kalt, und der Frost der Nacht hockte Adarik in sämtlichen Knochen. Es war ihm nie angenehm gewesen zu frieren, aber mit jedem Jahr, da er älter, der Rücken krummer und die Haut ledriger wurde, geriet es zur größeren Qual.
    Er unterdrückte das Beben und verbarg vor seinen Männern auch seine Müdigkeit - desgleichen jenen Anflug von schlechtem Gewissen, als er nun bei Tageslicht auf die reißenden Fluten starrte, die die Frauen verschluckt hatten.
    Er hatte nicht gelogen, als er zu Gisla sagte, dass ihm die vielen Lebensjahre das Mitleid abgewöhnt hätten - aber tief drinnen nagte das Unbehagen, dass es, wie so oft, die Falschen getroffen hatte. Der Krieg - jener lächerliche Waffenstillstand, der in Saint-Clair-sur-Epte geschlossen worden war, täuschte nicht darüber hinweg, dass auf dieser Welt stetig ein solcher herrschte - war nicht nur eine hungrige Bestie, sondern eine wenig wählerische und eine ungerechte: Gern riss sie die besonders Jungen, die Zarten, die Unschuldigen, all jene also, die es nicht verdienten.
    Gewiss, er selbst schob dieser Bestie immer wieder neues Futter ins Maul, aber manchmal, wie jetzt, graute es ihm vor sich selbst, weil ihm die Kälte mit der Zeit immer mehr zusetzte, das Töten hingegen immer weniger.
    Er schluckte das Unbehagen und wollte die Hand heben, um das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Noch rotteten sich seine Männer um die Toten, durchwühlten die Kleider der Leichen nach Brauchbarem, fluchten, weil sie kein Geld oder Schmuck fanden, aber nahmen die Waffen, so sie denn taugten, mit sich.
    »Das waren Nordmänner, ohne Zweifel ...«, sagte einer der Männer, als er zu Adarik trat »Vielleicht von Rollos Hof. Wäre es nicht ratsam, sie zu vergraben - auf dass niemand sie finden und für sie Rache nehmen kann?«
    Adarik überlegte kurz. Sie hatten sich weit in das Gebiet des Nordmännerlandes vorgewagt, vielleicht zu weit. Gerade darum war es besser, so schnell wie möglich wieder Richtung Epte aufzubrechen, anstatt kostbare Zeit zu verschwenden.
    »Nein«, entschied er. »Lasst sie liegen. Wer soll sie in dieser Einöde finden, ehe sie verwest sind? Und wenn man sie findet, warum sollte man uns Franken die Schuld an ihrem Tod geben? Es ist besser, wir ...«
    Lautes Rufen unterbrach ihn. Um einen der Leichname versammelten sich gleich mehrere Männer, doch anstatt auch ihn seiner Habseligkeiten zu berauben, wichen sie zurück.
    »Was ist da los?«, brüllte Adarik über das Rauschen des Meeres hinweg.
    Die Blicke der Männer, die sich auf ihn richteten, waren ungläubig. »Wie es aussieht, lebt der hier noch ...«
    Adarik unterdrückte ein überdrüssiges Seufzen. Nie hatte er begriffen, warum sich das sonst so grausame Leben manchmal als gnadenvoll erwies.
    Der Kreis lichtete sich, als er zu dem Mann trat, der vermeintlich reglos dalag. Er stieß ihn hart mit seinem Fuß an, sodass er von der Seite auf den Rücken fiel, sah nun, dass sich die Brust hob und senkte. Auf dem vernarbten Gesicht klebten Erde und Blut.
    Eigentlich, dachte er sich, ist es keine Gnade des Lebens, dass dieser lebt, vielmehr ein übler Scherz und blanker Hohn, weil es sich ausgerechnet den Hässlichsten erkoren hat.
    »Sollen wir ihn töten?«, fragte

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