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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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dass sie als Letztes in das Gesicht ihrer Gefährtin sehen würde. Da war nur Empörung, dass man sie wegwarf wie Unrat, aber zu wenig Kraft, um sich dagegen zu wehren.
    Plötzlich verstummte das Rauschen. Ihr Herzschlag stockte, und das Meer schien den Atem anzuhalten, ehe es ansetzte, sie gierig zu verschlingen. Sie wurde in die Arme des Windes geschleudert, und es waren nachlässige Arme. Sie schlugen sie, sie rissen an ihrem Haar und an ihrer Kleidung, aber sie weigerten sich, sie festzuhalten, ließen sie stattdessen in die Tiefe fallen. Als sie auf dem eisigen Wasser aufschlug, jagte der Wind gleichgültig zurück ans Himmelszelt.
    Das nachtschwarze Wasser schnitt schärfer in ihre Haut als jedes Schwert, wenn seine Klinge auch nicht aus blitzendem Silberstahl war. Es schien ihr alle Glieder gleichzeitig abzuschlagen: Zehen, Füße, Beine, Finger, Hände, Arme. Zurück blieb der nutzlose Rumpf, der wie ein Stein in die Tiefe sank.
    Warum bin ich immer noch nicht tot?, dachte Gisla, als plötzlich Hände nach ihr griffen. Jene Hände waren nicht zaudernd und neckisch wie die des Windes an einem schönen Sommertag und nicht hart wie die des Meeres bei Sturm, es waren die Hände einer starken Frau. Sie zogen Gisla an die Wasseroberfläche und hielten sie fest. Spuckend und hustend rang sie nach Luft, strampelte mit den Beinen, schlug mit den Armen um sich. Eine Welle spülte über sie hinweg und nahm ihr erneut den Atem, eine zweite riss sie beide mit sich. Bedrohlich nah ragte die Klippe vor ihnen auf. Gisla glaubte zu spüren, wie ihre Knochen brachen, ihr Kopf zerplatzte, doch dann erwies sich der Sog als wankelmütig, schmetterte sie nicht gegen den Fels, sondern spülte sie zurück ins offene Meer. Alsbald erfasste sie eine dritte Welle, diese entschlossener, sie auszuspucken.
    Inmitten der Finsternis drang plötzlich Runas Stimme zu ihr: »Halt dich fest!«
    Und da erst begriff Gisla, dass der Fels, der aus dem Wasser ragte, nicht nur größte Gefahr verhieß, sondern auch die einzige Aussicht auf Rettung. Wenn es ihnen gelang, sich festzuhalten und hochzuklettern, konnten sie den tosenden Fluten entkommen.
    Sie strampelte mit den Beinen, ungeachtet, dass ihr Kopf unter Wasser getaucht wurde, fühlte, wie ihr Körper gegen den schroffen Felsen stieß. Blind griff sie danach, klammerte sich daran, spürte, wie etwas Spitzes, Scharfes sich in ihre Haut bohrte, das weniger einem Stein als einem Messer glich, aber sie ließ nicht los. Schon hatte sich Runa hochgezogen und streckte ihr die Hand entgegen.
    »Schnell!«
    Gislas Hände wurden taub. Sie fühlte, wie sie abrutschte, aber schon nahte die nächste Welle, um an ihr zu zerren, und sie wusste: Wenn sie zurück ins Wasser gerissen wurde, konnte Runa ihr nicht länger helfen. Sie würde ihr die Hand entgegenstrecken, aber ins Wasser nachspringen würde sie ihr nicht. Sie musste sich selbst retten - und leben wollen musste sie auch selbst.
    Gisla griff nach Runas Hand, und nicht länger waren ihre Finger gefühllos, sondern brannten wie Feuer. Mit einem Ruck wurde sie hochgezerrt, spürte den Stein, der an ihrem Schienbein entlangschrammte. Dann ließ die Welle sie los, gab sie frei, einem scheuen Raubtier gleich, das zurückwich, sobald es die Unterlegenheit spürte.
    Sie hatten es auf den Felsvorsprung geschafft und waren dort von den reißenden Fluten geschützt. Zitternd vor Kälte klammerte Gisla sich an Runa und legte ihre Arme um sie.
    Eine Weile hockten sie starr da, dann löste sich Gisla aus der Umarmung. Im Mondlicht glaubte sie nicht weit von ihnen entfernt einen schmalen Streifen Sand zu erkennen.
    »Nicht!«, rief Runa, als sie dorthin klettern wollte. »Sie könnten uns sehen! Wir müssen warten, bis sie weg sind.«
    Gisla hielt inne und ließ sich zurück auf den Stein fallen.
    Dass Adariks Männer sie auch hören konnten, hielt Runa nicht vom Reden ab. »Kaltes Wasser ... und wieder kaltes Wasser«, sagte sie. »Njörd scheint mich zu lieben.«
    Gisla klapperten die Zähne zu stark, um nach Njörd zu fragen. Eigentlich wollte sie auch so wenig wie möglich von heidnischen Göttern erfahren. Sie sah auf das Meer, das kalt und schwarz und tief war, und sehnte sich nach dem Morgengrauen, in dem es mit dem farblosen Horizont verschmolz und nicht mehr ganz so bedrohlich wirkte.
    Eine Weile saß sie mit Runa da, zitternd und immer noch auf der Hut. Wie lange Zeit vergangen war, vermochte keine von ihnen zu sagen, aber die Stimmen der Männer waren

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