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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Schlafstatt. Strohsäcke oder Matratzen, wie die reicheren Bauern sie besaßen, gab es jedoch keine.
    In einer Ecke des Raums lagen Holzdielen auf dem Boden, die knarrten, als Runa darauftrat. Sie bückte sich, klopfte gegen die Dielen und öffnete eine hölzerne Klapptür, unter der sich ein Loch auftat. Runa lächelte. Genau das hatte sie vermutet.
    »Was ist das?«, fragte Gisla erstaunt.
    »So etwas Ähnliches hat es in unserem Haus in Norvegur auch gegeben«, erklärte Runa. »Wir nannten es Schatzkammer, meine Großmutter hat dort den Bernsteinschmuck versteckt.« Ein wehmütiger Ausdruck vertrieb ihr Lächeln, dann wurde ihr Gesicht ausdruckslos. »Es ist nichts darin«, murmelte sie, nachdem sie den Hohlraum abgetastet hatte, und schloss die Klapptür wieder. »Wahrscheinlich sind die Bewohner geflohen und haben all ihre Güter mitgenommen.«
    Sie durchsuchte schließlich zwei kleine Wandschränke, wohl in der Hoffnung, dass dort getrockneter Fisch aufbewahrt war. Fisch fand sie nicht, jedoch jede Menge Werkzeug: Angelhaken und Schöpfkellen aus verzinntem Eisen, Fingerhüte und sogar ein metallenes Klappmesser.
    Während Runa all das prüfend in den Händen hielt, entdeckte Gisla eine geschnitzte Truhe und öffnete sie: Sie fand Wollkämme und ein Webbrettchen, ein Bronzebecken, ein weiteres Messer und obendrein eine Schere. In einer zweiten Truhe befanden sich Wetzsteine, Spinnwirteln und Webgewichte.
    »Wenn wir Wolle hätten, könnten wir Kleider weben!«, rief Gisla begeistert.
    »Und damit können wir Fische fangen und Tiere jagen!«, rief Runa und deutete auf das Handwerkszeug, das an der hinteren Wand des Hauses hing: Äxte, Feilen, Sägen, Zangen. »Endlich müssen wir nicht mehr hungern!« Ihre Stimme klang aufgeregt wie nie zuvor.
    Gisla hörte ihr kaum zu. Noch mehr Kostbarkeiten hatte sie in der zweiten Truhe entdeckt: Krüge und Schalen aus Ton. Gislas Hände strichen darüber, dann über eine Kette aus Glasperlen, die in eine Ritze gerutscht war. Sie hob sie hoch, ließ sie durch ihre Finger gleiten und betrachtete sie mit einem Ausdruck tiefer Ehrfurcht. Das erste Mal seit langem hielt sie etwas in der Hand, das man nicht zum Überleben brauchte, das einfach nur schön war. Aber das Schönste war, zu wissen, dass sie den Winter überleben würden!
    Runa stieß einen Jubelschrei aus und strich dann erneut über die Werkzeuge. »Wir haben den Kerker von Rouen überlebt und den von Laon«, murmelte sie. »Wir sind Taurin entkommen, Thure und Adarik. Wir werden weiterleben, und ich werde uns nach Norvegur bringen.«
    Sie wussten nicht, warum dieses Dorf leer stand. Aber dass nirgendwo Tote und nirgendwo Blutspuren zu sehen waren, genügte, um es zu einem Ort zu machen, an dem sie vorerst bleiben konnten.
    Als Taurin erwacht war, wusste er kurz nicht, wo er sich befand. Vielleicht war er gar nicht erwacht, vielleicht träumte er noch.
    Er war bei seiner Geliebten, und alles war gut ... Die letzten Jahre ... Jahrzehnte schmolzen zu einem nichtigen Augenblick dahin, die Qualen, die er durchlitten hatte, zu einem flüchtigen Schmerz. Die Welt war heil, und das Leben war schön. Doch dann vernahm er Gemurmel, und das Bild von seiner Geliebten schwand.
    Er wusste nicht, woher das Gemurmel kam, öffnete die Augen, blickte sich um. Seine Hände waren blutverschmiert, der Wald, in dem er lag, war dunkel, das Haus der Bäuerin am Rande dieses Waldes verbrannt.
    Das Gemurmel verstummte, ertönte erneut. Er schloss die Augen wieder und brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass das Gemurmel aus seiner Erinnerung herrührte und diese Erinnerung nicht länger schön war.
    Priester murmelten ... Priester, die die Reliquie des heiligen Germanus über den Mauerumgang der Insel trugen und Bittgebete vorbrachten. Die Angriffe waren immer schlimmer geworden. Die Feinde schoben fahrbare Schutzdächer an den Fuß des Turms und bildeten einen Schildwall, um Öl, Pech und Pfeile abzufangen. Noch besetzten sie den Turm nicht. Noch hinderte sie ein Wassergraben daran. Aber schon begannen sie, Reisig, Stroh, geschlachtete Tiere und Leichname in den Graben zu werfen.
    Wieder riss er die Augen auf, das Bild barst. Als er aufsprang, schien auch sein Kopf zu zerbersten. Die Streitaxt musste ihn getroffen, ja, gespalten haben, so höllisch weh wie es tat. Doch die Schmerzen hielten ihn nicht davon ab zu laufen, und der Kopf war heil genug, um zu denken und sich an alles zu erinnern. Er hatte kein Pferd mehr, er hatte keine

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