Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
rutschten von den Schultern, entblößten ihre Brust.
»Bleib hier«, befahl Runa. »Wasch dich.«
Doch Gisla blieb nicht. Rasch bedeckte sie ihre nackte Haut und stolperte davon. Wieder waren er und Runa allein. Und wieder blickten sie sich schweigend und reglos an.
Nicht länger spiegelten ihre Augen seine Anspannung, sondern seine Erschöpfung. Und da war noch etwas anderes, was er mit ihr teilte, nicht länger Hass und auch kein anderes dieser inbrünstigen Gefühle. Vielmehr ein lähmendes, leises. Da war Verwirrung. Und so viel Überdruss.
Obwohl sie sein Schwert versteckt hatte und stets aufs Neue seine Fesseln überprüfte, hatte Runa Angst vor Taurin. Sie war sich sicher, dass sie kaum ein Auge zutun konnte, solange sie ihn in der Nähe wusste. Aber sie blieb bei ihrem Entschluss, ihn auch weiterhin nicht zu töten.
Was sie davon abhielt, wusste sie nicht - umso besser aber, dass es sehr mühsam sein würde, mit ihm zu leben. Am ersten Abend überlegte sie, ihn in jene Vorratskammer zu bringen und dort liegen zu lassen, wo Thure geschlafen hatte, aber entschied dann, ihn besser unter steter Beobachtung zu halten. So band sie ihn an einen der Holzpfosten, die das Dach stützten.
Am nächsten Tag galt es, neue Entscheidungen zu treffen. Die erste dringliche Frage war, wie sie ihn in dieser Lage seine Notdurft verrichten lassen sollte. Gisla und sie hatten für diesen Zweck ein Loch in die Erde gegraben, nicht weit vom Haus entfernt. Es war mit einem Stück Holz abgedeckt. Unmöglich aber, weil zu gefährlich, war es, Taurin jedes Mal dorthin zu führen und zu diesem Zweck die Fesseln an seinen Beinen zu lösen. So überließ Runa ihm schließlich einen Holzzuber. Sie beobachtete argwöhnisch seine Reaktion.
Taurin rührte sich nicht, was Runa als Trotz und Bösartigkeit deutete. Nach einer Weile ging ihr auf, dass er sich gar nicht rühren konnte, hatte sie ihm am Abend zuvor doch auch noch einen Strick um den Hals gebunden, um ganz sicherzugehen, dass er nicht fliehen konnte. Den löste sie nicht, seine Hände aber befreite sie.
Taurin regte sich immer noch nicht, in seinen Augen blitzte jedoch etwas auf, das Runa fremd war: Scham.
»Also gut«, murmelte sie. »Ich werde mich abwenden. Aber ich habe mein Messer in der Hand. Eine rasche Bewegung, und du bist tot.«
Sich von ihm wegzudrehen war für sie eine ebenso große Überwindung wie für ihn, sich zu erleichtern. Demütigung war das, was Taurin empfand, aber er war auch müde, müde, sich zu widersetzen, zu kämpfen, gegen Runa aufzubegehren.
So verging die Zeit, die Wunde an seinem Oberschenkel heilte, und irgendwann schien sein Hass so fleckig wie seine verschwitzte Kleidung, so ranzig wie der Geruch, der von seinen Haaren ausging, und so dreckverschorft wie sein Gesicht. Ja, der Hass war nicht mehr frisch und rein. Er hatte sich wohl an ihren Lebensrhythmus gewöhnt und wurde immer träger.
Runa brachte ihm nicht nur dreimal am Tag den Holzzuber, sondern auch zu essen und zu trinken.
Eines Tages stellte sie einen Eimer mit frischem Wasser, in dem er sich reinigen konnte, vor ihn hin, und befreite ihm zu diesem Zweck erneut seine Hände. Er blickte reglos auf das Wasser; die dunkle, glatte Oberfläche spiegelte Umrisse seines Gesichts, vor allem seinen Bart, der bis zu seiner Brust reichte. Weder dankte er ihr für dieses Labsal noch machte er Anstalten, sich tatsächlich zu waschen, und sie glaubte zu ahnen, was in ihm vorging.
Er hatte versagt, als er sie hatte töten wollen. Und Versager blieben schmutzig.
Da hob sie drohend ihr Messer. »Es ist nicht auszuhalten, wie du stinkst!«, brüllte sie. »Es ist für uns alle eine Qual! Also wasch dich!«
Sie ließ das Messer wieder sinken, erstaunt über die herrischen Worte. Eigentlich war es ihr gleich, wie er stank. Sie hatte in ihrem Leben schon schlimmere Gerüche ertragen.
Er indes blickte sie nicht hasserfüllt, sondern verwundert an. »Dann töte mich doch, schaff meinen Leichnam nach draußen, und ich stinke nicht mehr.«
Es waren die ersten Worte, die er zu ihr gesprochen hatte, seit er plötzlich vor ihr aufgetaucht war und versucht hatte, sie zu töten.
»Gestank ist mir lieber als Blut«, murmelte sie und wandte sich ab.
Sie war kaum einen Schritt gegangen, da vernahm sie hinter sich ein Platschen. Erschrocken fuhr sie herum, sah, dass er seinen Kopf in den Eimer gesteckt hatte, überzeugt, er wolle sich ertränken. Sie zauderte. Wenn er sich selbst tötete - so war dies
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