Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
seine Entscheidung, es zuzulassen und nicht zu verhindern war ihre.
Ehe sie eingreifen konnte, tauchte er prustend wieder auf. Das Wasser lief ihm über das Gesicht, über Nacken und Rücken; seine Haare und sein Bart klebten auf der Haut. Immer noch war sie voller Schmutz, aber darunter glänzte sie rosig.
»Du wäscht dich ja doch«, sagte sie, was sie jedoch dachte, war: Du willst ja doch leben.
Fortan brachte Runa jeden Morgen diesen Eimer, damit Taurin sich waschen konnte.
Mit ihm zu leben blieb gefährlich, doch noch größere Sorge bereitete Runa, Thure in der Nähe zu wissen. Jeden Tag ging sie zum Strand, um nach Spuren zu suchen, doch der Stein, auf dem er stets gesessen hatte, und die Stelle, wo er das Feuer entfacht hatte, blieben kalt. Er war verschwunden. Mit der Zeit wuchs ihre Hoffnung, dass er nicht wieder zurückkehren würde, dass er sich mit dem Ausmaß an Zerstörung, die er angerichtet hatte, begnügte.
Runa wusste, sie sollte das eine nicht mit dem anderen verknüpfen, und doch konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, ein Tauschgeschäft abgeschlossen zu haben, nämlich Taurin für Thure bekommen zu haben. Dies war ein Handel, mit dem sie zufrieden sein musste.
Für Gisla war es kein Trost, Thure nicht länger sehen zu müssen. In den ersten Tagen war sie noch starr vor Schock gewesen, danach hatte sie viel geweint, jetzt litt sie ohne Tränen.
Runa sah ihr zu, hilflos und verstört, wusste, dass sie sie trösten sollte, aber empfand mehr Hader als Mitleid. Gewiss: Das, was Thure Gisla angetan hatte, war ihm anzulasten, nicht ihr, ihn sollte sie verfluchen, ihn beschimpfen. Aber immer wenn Runa Gisla ansah, fragte sie sich im Stillen ärgerlich, warum sie so leichtgläubig war, warum so viel zu gut für die Welt. Es war nicht ihre Schuld, als zarte Prinzessin geboren worden und behütet aufgewachsen zu sein, sehr wohl aber, nichts dazugelernt und nicht das schlichteste Gesetz begriffen zu haben. Ich oder er. Wir oder sie.
Allerdings - auch sie war nicht fähig oder willens, Taurin zu töten. Sie konnte Gisla nicht vorwerfen, wofür sie sich selbst schuldig fühlte.
Irgendwann waren ihre Essensvorräte aufgebraucht, und Runa beschloss, auf die Jagd zu gehen. Das bedeutete, dass sie Taurin und Gisla allein lassen musste. Das erste Mal tat sie es nur ungern - sie gab Gisla das Messer, schnürte Taurins Fesseln enger und machte sich beunruhigt auf den Weg. Beim zweiten Mal fiel es ihr schon leichter zu gehen, und beim dritten Mal wurde aus der Notwendigkeit Vergnügen. Sie genoss es, ganz allein durch den Wald zu streifen und sich vom Wind alle trüben Gedanken an Gisla und Taurin vertreiben zu lassen.
Gisla erzählte ihr nie davon, was in der Zwischenzeit in der Hütte geschah, doch Runa ahnte, dass Taurin sie verhöhnte. Einmal weinte Gisla, als sie zurückkehrte, und verweigerte das Essen, indessen Taurin selig lächelte und von ihrem Leid tief befriedigt schien. Runa stellte ihn nicht zur Rede, aber erstmals kam ihr der Verdacht, dass er nicht minder bösartig war als Thure.
Dann kamen ihr doch wieder Zweifel. Jede Nacht wurde Taurin von schrecklichen Träumen heimgesucht. Wenn ein dunkler Alb ihn heimsuchte, verkrampfte sich sein Körper und er schlug - soweit es ihm die Fesseln ermöglichten - wild um sich, rief klagend und schluchzte wie die Königstochter selbst. Einmal nuschelte er einige Worte, die Runa nicht verstand. Sie sah, dass auf seiner Stirn Schweiß glänzte - und auf seinen Wangen Tränen. Des Tags hockte er starr da und schwieg eisern. Konnte ein böser Mensch von solchen Träumen geplagt werden?
Ob es nur an seiner Anwesenheit lag oder an seinen Träumen - auch Runa schlief schlecht und wenig. Oft erhob sie sich von der Schlafstatt, setzte sich ans Feuer, betrachtete Taurin und machte sich Gedanken über ihn. Eigentlich wusste sie nicht mehr über ihn als seinen Namen und dass er im Auftrag Popas Gisla töten wollte, jedoch weder, wie alt er war, noch was er erlebt hatte, das ihn so unruhig schlafen ließ. Sie kam zum Schluss, dass es etwas Schreckliches gewesen sein musste, so wie sie alle Leid erlebt hatten.
Eines Nachts erwachte Runa wieder einmal von Taurins Stöhnen. Sein Gesicht war derart verzerrt, dass sie seinen Anblick nicht länger ertrug. Sie trat zu ihm und beugte sich hinab und rüttelte ihn, bis er erwachte. Erst sah er verwirrt aus, noch trunken von Schlaf und bösen Erinnerungen, dann kehrte sein Hass zurück. Rüde entzog er sich ihrem
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