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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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Wände würden rund um sie zusammenwachsen und die Decke auf sie fallen, um sie zu begraben. Aber sie war nicht tot - der Vater war es.
    »Du hast ihn vergiftet«, stieß sie hervor.
    Thures Miene blieb fröhlich. Er widersprach nicht, zuckte nur schweigend die Schultern.
    »Ich ... ich ...«, stammelte Runa, »ich hätte auch davon trinken können!«
    Sie biss sich auf die Zunge. Eben noch hatte sie nicht einmal schreien können, waren ihr die Worte in der Kehle stecken geblieben - diese aber nun waren viel zu schnell, zu gedankenlos aus ihr herausgeplatzt, verrieten ihm, wie träge ihre Gedanken arbeiteten und wie leichtgläubig und unschuldig ihr Herz war.
    »Dies war der Plan«, murmelte er.
    Runa sagte nichts mehr, führte ihre Hand nur vorsichtig zu dem kleinen Messer, das sie am Gürtel trug.
    Sie hatte den Knauf noch nicht ertastet, als Thure mit tödlichem Ernst drohte: »Tu es lieber nicht!«
    Sie erstarrte.
    Auch wenn er keine Anstalten machte, auf sie loszugehen - sie wusste, wie schnell er sein konnte und wie stark. Sie wusste auch, dass er ihren Vater getötet hatte und sie selbst hatte töten wollen und dass er es nun, da sie nichts vom vergifteten Wein getrunken hatte, auf andere Weise erneut versuchen würde. Unter den bunten Gewändern sah sie weder Messer noch Schwert. Waren seine Hände, verglichen mit Runolfrs Pranken eher schmal, seine einzige Waffe?
    Gemächlich begann Thure zu sprechen: »Du musst wissen - ich habe nichts gegen Runolfr, nur dagegen, wie er die Welt sieht. Er denkt tatsächlich, im Land der Franken wird man als Bauer reich. Aber Männer wie er und ich sind für das Schwert gemacht, nicht für den Pflug. Ich will kein Feld beackern, sondern mir die Ernte holen, nachdem andere sie eingebracht haben. Früher, als er noch jung war und ungebrochen, wollte er das auch.«
    Runa starrte ihn fassungslos an. »Du hast ihn vergiftet, weil du mit seinen Plänen nicht einverstanden warst?«
    Wieder zuckte er die Schultern, als würde er ernsthaft überlegen, ob ihm noch eine andere Möglichkeit geblieben wäre. Schließlich schüttelte er ebenso verneinend wie bedauernd den Kopf. »Runolfr dachte, eine Zeit des Friedens würde beginnen - ich hingegen denke, der Krieg hört niemals auf. Ich mochte ihn, aber auf unterschiedlichen Seiten standen wir trotzdem. Und ich habe genügend Kämpfe erlebt, um zu wissen, dass Worte niemals Einigkeit schaffen, sondern einzig das Schwert eine klare Entscheidung darüber treffen kann, wer Recht hat und wer nicht.«
    »Aber du hast nicht gegen ihn gekämpft!«, schrie Runa auf. »Nicht auf ehrbare Weise! Du hast nicht das Schwert gegen meinen Vater erhoben, sondern ihn vergiftet! Nichts ist verwerflicher als ein Mord, wenn einer wehrlos auf dem Boden liegt!«
    Achtlos ließ Thure den Weinschlauch fallen, der sich kurz aufblähte, dann schrumpfte. Er griff zu einem Bündel, das er am Gürtel trug, schüttete etwas von dessen Inhalt - schwarze Körnchen, so groß wie Samen - auf seine Handfläche, roch erst daran und leckte sie dann auf.
    »Was tust du da?«, rief Runa.
    »Freu dich nicht zu früh«, höhnte er. »Daran werde ich nicht sterben. Wohldosiert sind diese Pilze kein Gift, das den Tod bringt, sondern eins, das die Welt bunter und heller erscheinen lässt. Dass es sich so verhält, scheint mir kein Zufall zu sein. In der Nähe des Todes ist die Welt immer bunter und heller, wusstest du das? Öde und grau ist der Alltag, in dem ein Augenblick dem anderen gleicht. Eintönig und langweilig alle Pflichten, bei denen man sich den Rücken krümmt. Aber stehst du einem Feind gegenüber und weißt, dass am Ende du tot bist oder er, so beginnt die Erinnerung an dein Leben zu leuchten und zu glühen. Das letzte Stück Brot, das du gegessen hast, schmeckt saftig in deinem Mund nach. Du siehst Blumen, die du vorher nicht gesehen hast, und hörst Vögel singen, denen du dich taub gestellt hast. Du bist dankbar für jedes Mal, da du im Badehaus gehockt, im Meer geschwommen, dich am Lagerfeuer betrunken und bei einer Frau gelegen hast. Ja, ich habe gelebt, denkst du dir, und wenn du erregt das Schwert hebst, wenn dein Blut in dein Gesicht steigt, ist dein Blick auf die Welt nicht grau, sondern rot. Der Tod schenkt dir Farben, wenn du nicht vor ihm wegläufst, sondern ihm mutig entgegentrittst. Und kommt er in der Gestalt eines anderen Kriegers auf dich zu, lockt er mit der Einladung zum schrillsten und lautesten und berauschendsten aller Feste - dem Fest in
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