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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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hatte sich aus dem Kreis gelöst, trat auf sie zu, gemächlich, sich der eigenen Übermacht bewusst. Wieder handelte Runa blitzschnell und ohne nachzudenken, vertraute den Instinkten, die ihr bisher immer geholfen hatten. Behände stützte sie sich auf dem Dach der Kammer ab und sprang hinauf, noch ehe Thure ins Freie trat. Drei unsichere, wankende Schritte später vermeinte sie, die Welt rollte ihr unter den Füßen weg. Dann hatte sie das Ende des Dachs erreicht und sprang ins Nichts. Nein, nicht ins Nichts, sondern ins Meer, kalt, tief und schwarz.
    Einen kurzen Augenblick dachte Runa an die Küste, die der Vater am Morgen gesehen haben wollte, und ob sie nahe genug war, dorthin zu schwimmen. Als die Fluten über ihr zusammenbrachen, dachte sie an gar nichts mehr. Kälte verbiss sich in ihren Gliedern wie ein hungriges Tier. Sie ergab sich ihr wehrlos, versteifte, sank tiefer und tiefer in Njörds Reich. Nun machte es sich bezahlt, dass sie so oft im eiskalten Fjord geschwommen war: Der Meeresgott kannte sie und wusste, dass sie ihm nicht feindlich gesinnt war. Seine Hände liebkosten sie nur, aber rissen sie nicht ganz in die Tiefe.
    Runa begann, mit den Füßen zu treten. Vielleicht kam ihr nicht nur Njörd selbst, sondern auch Ran zu Hilfe, die Göttin, die mit ihrem Netz die Ertrinkenden aus dem Wasser fischte. Spuckend und prustend kam sie an die Oberfläche und holte tief Atem. Sie drehte sich nach allen Seiten, hielt Aussicht nach den Schiffen, deren schweres Holz ihren Schädel zerbersten lassen würde, wenn es sie mit ganzer Wucht träfe. Doch das schien nicht die größte Gefahr.
    »Dort ist sie!«
    Thures Stimme wurde gedämpft vom Wasser, das in Runas Ohren gedrungen war. Viel deutlicher vernahm sie das Zischen, das seinen Worten folgte. Ehe sie hochblicken konnte, schoss ein Pfeil haarscharf an ihrem Kopf vorbei. Noch einmal schöpfte sie Luft, versank erneut in die schwarze Kälte, tauchte schließlich, als sie es nicht länger aushielt, wieder auf. Kaum sah sie Licht, ging ein neuer Pfeil auf sie herab, nein, nicht nur einer, sondern ein Regen gar aus Holz und Erz. In ihrer Brust hämmerte es.
    »Dort ist sie!«, schrie Thure wieder.
    Sie würde ihm nicht entkommen, würde entweder von einem Pfeil getroffen werden oder ertrinken, und während sie verzweifelt strampelte, dachte sie, dass es vielleicht auch besser war, wenn sie ihrer Großmutter nach Niflheim folgte - ihr und dem Vater. Viele Übel hatte sie ihm gewünscht, den Tod jedoch nicht, und anstatt den Mann zu verfluchen, der sie verschleppt hatte, flehte sie nun innerlich um die Hilfe des Vaters. Als erneut Pfeile auf sie herabstoben, sie wieder in das dunkle Reich des Meeresgottes versank, hörte sie plötzlich seine Stimme, laut und klar.
    Du musst überleben. Wer sonst kann die Geschichten unserer Ahnen erzählen. Wer sonst kann einen Becher Wein auf uns trinken. Wer sonst kann Runen in einen Stein ritzen, die an unsere Namen und unsere Geschichten erinnern.
    Vielleicht war es auch gar nicht seine Stimme, sondern die Asruns.
    Runa blickte nach oben, sah den dunklen Leib des Schiffes und gleich daneben das Steuerruder, das in die Tiefe ragte. Sie schwamm darauf zu, zog sich daran hoch, spürte, wie die Muscheln, die am Holz hafteten, unter ihren Händen brachen, und rutschte an den glitschigen Algen ab. Aber sie gab nicht auf. Irgendwann gelang es ihr, sich ans Ruder zu klammern und den Kopf aus dem Wasser zu heben, so dicht neben dem Schiff nun, dass man sie von dessen Deck aus nicht sehen konnte. Unverwandt schossen die Pfeile ins Wasser - jedoch weit von ihr entfernt. Sie hörte die Männer enttäuscht brüllen, dann befriedigt murmeln.
    »Ihr müsst sie getroffen haben«, verkündete Thure.
    Ganz nüchtern klang er, er lachte nicht. Runa schloss erschöpft die Augen.
    Als Ruhe eintrat, öffnete sie sie wieder und blickte sich um. Sie sah die anderen Schiffe, doch nirgendwo war die Küste auszumachen. Entschlossen ließ sie das Ruder los, schwamm so lautlos wie möglich von den Schiffen fort, drehte sich wieder im Kreis. In der einen Richtung traf weißer Himmel auf das schwarze Meer, in der anderen war ein grauer Streifen zu erahnen. Das konnten Wolken sein, milchig und kraftlos, vielleicht aber auch Klippen.
    Ihr blieb keine andere Wahl, als es zu versuchen.
    Runa tauchte unter, schwamm, tauchte wieder, niemand hatte sie gesehen. Das Meer lag ruhig da, dann kräuselte sich die Oberfläche. Wellen spritzten ihr ins Gesicht, jede

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