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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Wort.
    Kaum war sie allein, stürzte sich Runa auf die Schüssel mit dem Essen. Der Hunger hatte die Übelkeit jäh vertrieben. Das Brot schmeckte wie Asche, das Fleisch wie Leder - und die Tränen, die sie vergoss, während sie aß, salzig.
    Am Abend des ersten Tages schob sich der Eichenkiel des Schiffes lautlos auf das sandige Ufer einer Bucht. Dort verbrachten sie die Nacht. Am nächsten Abend ankerten sie in der Nähe von Vik. Anfangs war sie noch starr vor Angst und Schock und Wut gewesen - doch als Runa erneut festen Boden unter den Füßen spürte, überwältigte sie der Drang, wegzulaufen. Sie kam fünf Schritte weit, dann wurde sie von ihrem Vater an ihren Haaren gepackt und zurückgezerrt.
    »Wenn du dich störrisch zeigst, bleibst du künftig über Nacht auf dem Schiff!«, brüllte er.
    Als sie später am Lagerfeuer saßen, verweigerte Runa aus Trotz das Essen. Erst nach einer schlaflosen Nacht war der Hunger größer als die Wut. Sie ließ sich von Ingunn den mit Butter bestrichenen Trockenfisch reichen und einen Humpen aus poliertem Kuhhorn, der mit Met gefüllt war, und aß und trank gierig. Als sie sich an ihrer Tunika die Hände abwischte, fühlte sie das kleine Messer an ihrem Gürtel.
    Runa hielt es fest in den Händen, als sie am dritten Tag das Schiff bestiegen. Sollte sie sich damit selbst Gewalt antun? Oder einem anderen? Am Ende schnitt sie sich ihre Haare in Höhe ihrer Ohrläppchen ab. Sie wollte das Messer gegen keinen Menschen erheben, aber sie schwor sich, dass der Vater sie nie wieder an den langen Strähnen festhalten sollte.
    Als Ingunn sie so erblickte - das verbliebene Haar war schief geschnitten und stand widerspenstig wie ein Igelfell nach allen Seiten ab -, schrie sie entsetzt auf. Thure hingegen lachte, als Runa zwei Tage später aus der kleinen Kammer ins Freie trat. Sie hatte darauf gewartet, dass sie wieder an Land anlegten und sich eine neue Möglichkeit zur Flucht ergeben würde - doch stattdessen waren sie die ganze Nacht weitergesegelt, und jetzt sah sie auch, warum: Sie hatten die Küste hinter sich gelassen, der nordischen Heimat endgültig den Rücken zugewandt.
    Runa verkniff sich die Tränen - die Freiheit, über ihr Handeln zu entscheiden, mochte sie verloren haben, der Kummer gehörte ihr allein, niemand sollte ihn sehen. Anstatt zurückzuschauen, starrte sie auf das riesige Rahsegel, das für den Vortrieb sorgte. Zu ihrer Überraschung flatterten nicht weit von dem einen ein zweites und drittes. Sie gehörten zu anderen Schiffen, die mit dem des Vaters vertäut waren und sein Tempo hielten. Offenbar hatte er sich in Vik mit Männern gleichen Zieles zusammengeschlossen. Runa blickte hinüber, konnte aber nur vertraute Drachenköpfe auf den Steven erkennen, keine Frauen und Kinder, die wie sie von Männern und Väter gezwungen worden waren, in ein neues Leben aufzubrechen. Oder die ihnen freiwillig gefolgt waren.
    »Was machst du hier?«, bellte der Vater; sämtliche Blicke, nicht mehr nur der des lachenden Thure, fielen auf sie. »Hinein!«
    Runa presste die Lippen zusammen und bückte sich, um in die enge Kammer zurückzukehren. Sie hockte sich zu Ingunn, die damit beschäftigt war, Stoffbahnen zusammenzunähen. Runa wollte nicht wissen, was es war, sich erst recht nicht an der Arbeit beteiligen, doch das Mädchen schien begierig auf Austausch oder war dazu verpflichtet worden, sie nicht nur mit Speisen, sondern auch mit Worten zu versorgen.
    »Das Segel eines Schiffes ist so groß, dass man es nicht mit Webstühlen fertigen kann«, erklärte Ingunn. »Man muss viele kleine Stücke aneinandernähen.« Als Runa nicht reagierte, fuhr sie fort: »Willst du dir auch die Zeit vertreiben?«
    Zuhause hatte meist die Großmutter gewebt und genäht. »Ich kann Fische fangen und Tiere jagen, alles andere kann ich nicht«, gab Runa knapp zurück.
    Es stimmte nicht, was sie sagte. Sie hatte sich auch um die Kuh gekümmert, hatte Haus und Dach instand gehalten, hatte den Hauptraum gefegt und Feuer gemacht. Alles, alles hatte sie getan, was Asrun von ihr verlangte.
    Jetzt verschränkte sie die Arme vor den Beinen, und Ingunn verstummte.
    Seetag reihte sich an Seetag. Noch einmal machten sie Halt an einem Hafen, diesmal in Aggersborg in Dänemark, doch danach war keine Küste mehr zu sehen, nur das Meer. Die Männer orientierten sich an Sternen, am Flug der Vögel, an ihrem Peilstein - aber nicht mehr am Land.
    Kein Kummer, kein Trotz konnten alsbald die Langeweile vertreiben,

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