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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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Walhall.«
    Runa hörte Thures Worte, aber das Einzige, was sie begriff, war, dass sein Kopf krank und seine Seele verkommen waren.
    »Kein Mann mit Ehre tötet einen anderen mit Gift«, stieß sie aus. »Es gibt nichts Wichtigeres im Leben als einen guten Ruf. Er ist das, was bleibt.«
    Er widersprach nicht. »So mag es sein«, gab er freimütig zu. »Doch um seine Ziele zu erreichen, gilt es manchmal, etwas zu opfern. Du kennst doch die Geschichte unseres Göttervaters Odin, der nach Weisheit suchte und sein Auge als Pfand gab, um einen Schluck aus Mimirs Brunnen zu erheischen. So wie er sein Auge für seherische Kräfte gab, gab ich meine Ehre, um mich nicht länger führen zu lassen, sondern selbst zu führen. Weißt du, Runa, dir kann ich's verraten«, er beugte sich vertraulich vor, »hätte ich die Wahl, würde ich immer wieder auf die Ehre verzichten, ungern jedoch auf ein Auge. Einmal hätte ich beinahe ein Auge verloren - in einer Schlacht im Friesenland. Willst du wissen, was geschehen ist? Und willst du wissen, woher ich meine Narben habe?«
    Thure ließ das Säckchen sinken und fuhr sich bedächtig über Wangen und Stirn. Seine Haut war fahl wie der Mond, seine Augen nun abgründig schwarz wie die Nacht. Ganz gleich, was er über den Tod und seine Farben gefaselt hatte, das Feuer, das in ihm brannte, so war sich Runa gewiss, spuckte nur schwarzen Rauch, nicht das kleinste rötlich gelbe Flämmchen.
    »Also«, wiederholte er, »willst du wissen, woher ich meine Narben habe?«
    »Ich will wissen, was du nun mit mir tun wirst«, flüsterte sie.
    Er blickte sie freundlich an, beinahe mitleidig, strich weiter, fast behutsam, über seine Wangen. Ihr war, als könnte sie diese Berührung auf der eigenen Haut spüren. Dann schrie er plötzlich auf, verzweifelt und hasserfüllt wie nie.
    »Du verfluchtes Weib!«, kreischte er. Sie zuckte zusammen, und er biss sich auf die Lippen, um zwischen den wüsten Anklagen, die er nun aneinanderreihte, nicht in hysterisches Lachen auszubrechen. »Verfluchtes Weib! Du hast Runolfr getötet! Du hast deinen eigenen Vater vergiftet! So schändlich kann nur eine Frau sein! Kommt alle her und seht! Runa hat ihren Vater vergiftet, aus Rache, weil er sie aus der Heimat verschleppt hat.«
    Thure schnappte gierig nach Luft, während Runa der Atem stockte. Starr vor Entsetzen ließ sie die Flut an Worten über sich ergehen. Erst als sie endlich abriss, handelte sie - blitzschnell und ohne zu überlegen. Eben noch hockte sie
    mit krummem Rücken da, jetzt beugte sie sich nach vorn. Es hatte den Anschein, als würde sie über dem Vater zusammenbrechen, und tatsächlich kam sie auf seinem schweren, weichen Leib zu liegen. Doch das tat sie nicht, um sich an ihn zu klammern, sondern um mit ihrem Fuß nach Thure zu treten. Den Augenblick, da er überrascht zurückwich, nutzte sie, aufzuspringen, um an Thure vorbei nach draußen zu stürmen. Vergebens griff er nach ihren Beinen, bekam jedoch ihren Arm zu fassen. Runa spürte seine Kraft, die nicht an ihm zu vermuten war und die sie doch erahnt hatte. Er zerrte sie auf den Boden, drückte ihren Kopf auf das Holz. Ganz dicht beugte er das bleiche Gesicht über ihres; riesengroß schienen ihr die Narben jetzt. Als sie sich wehrte, schlug er ihr ins Gesicht. Runa verkrampfte sich, schrie auf.
    Und dann fühlte sie nichts, rein gar nichts mehr; sie tat so, als würde der Schmerz ihr das Bewusstsein rauben, und tastete zugleich nach ihrem Messer. Sie bekam es an der Klinge zu fassen, spürte, wie diese ihr ins eigene Fleisch schnitt, doch auch jener Schmerz erreichte sie nicht. Runa umschloss nun den Knauf und schlug wild um sich. Ob das Messer Thure traf oder nur die Luft zerschnitt, wusste sie nicht, nur, dass er sie freigab. Blitzschnell rollte sie sich auf den Bauch und sprang auf.
    Kein zweites Mal versuchte Thure, sie zu packen - es war nicht mehr notwendig. Als sie ins Freie stürzte, schloss sich bereits ein Kreis von Männern um sie.
    »Sie hat Runolfr umgebracht!«, schrie Thure hinter ihr. »Sie hat ihren eigenen Vater vergiftet, dieses schändliche Weib!«
    Aus den Augenwinkeln nahm Runa Ingunn wahr. Sie schlug die Hände vors Gesicht und lugte dann zwischen den Fingern hindurch, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen.
    Sie glaubt es auch, durchfuhr es Runa. Wir haben in den Nächten Seite an Seite geschlafen, und doch glaubt sie nun, ich hätte meinen Vater getötet ...
    Dann achtete sie nicht länger auf Ingunn. Einer der Männer
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