Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
zur Fensterluke, blickte hinaus, zählte lautlos die Männer. Einen Augenblick lang stand die Welt still, dann wich er plötzlich zurück, und die Tür wurde aufgestoßen. Jener fremde Mann hatte kaum einen Schritt über die Schwelle gesetzt, da lag er schon tödlich getroffen auf dem Boden. Ehe Runa erkannte, wer es war, wer ihn so blitzschnell ermordet hatte und warum, sah sie etwas auf sich zufliegen. Es war das Messer, ihr Messer, an dem noch Thures Blut klebte, und es war Taurin, der es ihr entgegenschleuderte. Aber nein, nicht, um auch ihr die Kehle zu zerfetzen, sondern damit sie es auffing und mit ihm kämpfte.
Runa konnte keinen klaren Gedanken fassen, instinktiv jedoch griff sie nach der Waffe, als ein zweiter Mann in die Hütte stürmte, und warf sie auf ihn. Sie fühlte nicht die gleiche Befriedigung wie bei Thures Tod, doch die Kraft, die im Töten lag. Von einem roten Blitz schien ihr Körper getroffen und in Flammen gesetzt zu werden, zerstörerisch für andere, nicht dagegen für sich selbst. Der Mann sank nieder, und sie stürzte auf ihn los. Gerade noch rechtzeitig zog sie das Messer aus seiner Brust, um den dritten abzuwehren, der eben sein Schwert hob. Sie traf sein Bein, eine schmerzhafte, aber keine tödliche Wunde. Mit einem Aufschrei hob er erneut das Schwert. Runa duckte sich, rollte sich zur Seite, es gelang ihr indes nicht, ihre Waffe ein weiteres Mal zu werfen - für einen Moment war sie wie gelähmt.
Und dann sah sie, dass Taurin ihre Axt in den Händen hielt. Die Axt, mit der sie die Bäume für ihr Schiff, das niemals das Meer sehen würde, geschlagen hatte. Er tötete damit einen Franken, der niemals den Frieden erleben würde - und sie erkannte, dass er gemeinsam mit ihr kämpfte. Weil es die Nordmänner gewesen waren, die ihn gefangen genommen und versklavt hatten, aber die Franken, die ihn in die Gefahr geschickt hatten, um Reliquien zu schützen, und die ihn später im Stich gelassen hatten. Weil er mit ihr das Leben geteilt hatte - mit seinem Volk aber schon lange nicht mehr. Weil er mit ihr um seine Liebste geweint hatte, mit seinesgleichen aber nie.
Taurin schnellte herum, als ein neuer Eindringling in die Hütte stürmte, und bevor Runa auch nur einer Regung fähig war, hielt er ein Schwert in seinen Händen und schlug ihn nieder. Da erwachte sie aus ihrer Starre und sprang auf. Thure hatte Chaos und Zerstörung gebracht - beides entfachte ihren ganzen Groll, und dieser Groll gab ihr Kraft.
Es gab nur mehr Leben oder Tod.
Es kostete Taurin große Überwindung, die Franken zu töten, aber sein Hass war stärker. Er hasste sie, weil er für sie nicht einer ihresgleichen war, sondern ein Nordmann, und auch, weil sie ihn - selbst wenn sie ihm die Herkunft angesehen hätten - dennoch getötet hätten.
Sie wussten, dass er wusste, wer Gisla in Wahrheit war, und das war zu viel Wissen, um weiterleben zu dürfen. Wer er selbst war, woher er stammte, welche Sprache die erste war, die er erlernt hatte, und dass er darüber hinaus auch des Lateinischen und Griechischen mächtig wäre - all das würde ihm nicht helfen, genauso wenig, wie es ihm damals geholfen hatte.
Man hatte ihn geschickt, die Reliquien in Sicherheit zu bringen, weil ein Kind geringeren Wert hatte als ein erwachsener Mönch, dem man jahrelang das Schreiben beigebracht hatte, weil bloßes Talent, wie er es besaß, weniger zählte als Können und das Leben eines anderen weniger als das eigene. Letzteres galt auch für den Teufel Thure. Für diese Franken. Und für ihn selbst.
Nur für Runa war es anscheinend anders. Sie schützte nicht nur das eigene Leben, sondern auch das von Gisla - obwohl die Frankenprinzessin leblos dalag und darum nicht einmal gewiss war, ob es noch etwas zu schützen gab.
Unbeirrt schwang sie das Schwert - und sie tat es mit gewandten, schnellen und bestimmten Bewegungen. Ein Mann nach dem anderen fiel. Taurin und Runa kannten jeden Winkel der Hütte und konnten nicht nur die Waffen der Gefallenen nutzen, sondern auch alles andere, was sich im Haus befand.
Runa warf einem die Bank vor die Füße, und während er strauchelte, hieb sie ihm den Kopf ab. Taurin schleuderte einem anderen den Kessel vor die Füße und nutzte den Moment der Unachtsamkeit, da der ihn mit dem Fuß zur Seite stieß, um ihm das Schwert in den Leib zu rammen. Er stolperte, hatte jedoch im gleichen Augenblick schon wieder die Balance gefunden, um einen Nächsten zu töten.
Der Krieg klang immer gleich, zischend und
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