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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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hatte.
    Runa nahm ihr Messer, hielt den Griff umkrampft. Kurz verharrte sie, beugte sich zu Taurins Fesseln herunter, verharrte wieder. Ihr Blick und seiner versanken nicht länger ineinander, sie starrten aneinander vorbei wie Fremde. Tu es, sagte eine Stimme in ihr. Tu es nicht, sagte eine andere.
    Ehe sie entschied, auf wen sie hören sollte, schlug das Unheil endgültig über ihr zusammen.
    Da war ein neuerliches Stöhnen von Gisla zu hören - und plötzlich ein ganz anderer Laut, schrecklicher als dieser, vernichtender. Ein Lachen.
    Thures Lachen.
    Es war zu laut, um sich einzureden, es sei eine Täuschung. Das Messer entglitt Runas feuchten Händen. Sie stürmte hinaus. Die Ragnarök, dachte sie, jetzt wird sie kommen, langsam, aber unerbittlich.
    Am Ende der Welt steuerte der verrückte Gott Loki ein Schiff, das die Dämonen der Zerstörung mit sich führte. Thure kam nicht auf einem solchen, kam vielmehr zu Fuß auf sie zugeschritten, aber als sie ihn erblickte, erschien es ihr, als hätte er gleich Loki die Unterwelt geöffnet und ihre finstersten Kreaturen freigelassen.
    Sie wich zurück, aber nicht schnell genug. So gemächlich er auf sie zugeschritten war, so blitzschnell sprang er sie jetzt an. Sie wollte nach ihrem Messer greifen, aber da hatte er schon ihre Hand auf den Rücken gezerrt. Erst jetzt ging ihr auf, dass es ohnehin sinnlos gewesen wäre, sich gegen Thure zu wehren, denn auch wenn sein Anblick mehr an Zerstörung und Irrsinn denn an Kraft denken ließ - er hatte genügend davon, zumindest mehr als sie. Nicht zum ersten Mal musste sie das erleben, doch nie hatte sie sich so ohnmächtig gefühlt wie an diesem Tag. Sie heulte vor Wut und Schmerz und konnte doch nicht verhindern, dass er sie zurück ins Haus stieß. Ob seines festen Griffs stand sie gebückt und sah nichts, aber sie wusste, welcher Anblick sich Thure bot, als der nun seine funkelnden Augen kreisen ließ: Da war Taurin, immer noch gebunden und wehrlos. Da war Gisla, gepeinigt, sich windend und von Schmerzen erfüllt. Aber da war niemand, der sich ihm entgegenstellen konnte - was immer er auch vorhatte.
    »Warum bist du zurückgekommen?«, presste sie keuchend hervor. »Warum lässt du uns nicht einfach in Frieden leben?«
    Noch mehr Worte lagen ihr auf den Lippen - dass Gislas Kind seines wäre und dass er sie darum verschonen möge. Doch zum einen konnte er das selbst erahnen, und zum anderen war das für einen wie ihn kein hinlänglicher Grund, Menschlichkeit zu beweisen.
    »Wenn es nach mir gegangen wäre«, sprach Thure mit falschem Bedauern, »hättet ihr gerne weiterleben können, ob nun in Frieden oder nicht. Allerdings will ich auch leben - und zwar gut leben. Das Einzige aber, was ich zu verkaufen habe, ist das Wissen, dass ihr noch lebt und wo genau.«
    Sein Griff ließ ein wenig nach, und sie konnte sich aufrichten. Gisla hatte ihre Beine leicht angezogen, Runa erkannte nicht, ob dazwischen neues Blut hervortrat, das Kind oder beides. In jedem Fall waren ihre Augen geschlossen. Die schwarzen von Taurin hingegen nicht. Als sich ihre Blicke trafen, glaubte sie, in einen Spiegel zu sehen und fühlte in ihm, was in ihr selbst rumorte: Hass auf Thure, Unverständnis, warum er hier war, Angst, was es bedeutete.
    Sie ahnte es früher, als ihr lieb war. Schon im nächsten Augenblick hörte sie Pferde, die sich dem Haus näherten. Sie war nicht sicher, wie viele genau, aber gewiss, dass es genügend waren, um ihre Lage zu einer vollends hoffnungslosen zu machen.
    Thures Augen wurden plötzlich ganz leer. Und sie dachte: Lass es schnell gehen. Lass es ihn nicht quälend langsam tun. Lass ihn nicht lange Reden halten wie sonst, ehe er zuschlägt.
    Doch dann konnte sie nicht auf Worte verzichten: »Wie ist es dir nur wieder gelungen, neue Männer um dich zu scharen?«
    Thures Griff gab noch ein wenig weiter nach. Sie stand nun vor ihm, sah, dass zu den alten Narben in seinem Gesicht neue Blessuren gekommen waren, dass es tatsächlich möglich gewesen war, diesen zerstörten Mann noch mehr zu verwunden.
    Er zuckte die Schultern. »Ich fürchte, dies ist zu viel der Ehre für mich.«
    Stimmen wurden von draußen laut, und sie redeten nicht in der nordischen Sprache miteinander, sondern fränkisch.
    »Ich war nicht fähig, Männer um mich zu versammeln. Ich bin lediglich zufällig auf Adarik und die Seinen gestoßen und habe ihnen ein Geschäft vorgeschlagen«, er zuckte die Schultern, »am Ende gilt inmitten des Chaos ein schlichtes
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