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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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ächzend und klirrend und stöhnend. Immer gab es solche, die ihn überlebten, und solche, die zugrunde gingen. Der Krieg war immer blutig und schmutzig, und er machte kalt, eiskalt ums Herz.
    Taurin wusste, dass er mit jeder Regung Rache nahm - an Verrätern und an Feiglingen, an schwachen Herrschern und an sittenlosen Mördern. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, seine Rache zu bekommen. Vor allem nicht auf diese Weise.
    Dann war plötzlich Stille. Heckten sie draußen einen neuen Plan aus, das Haus zu stürmen, oder waren alle tot, die es auf ihr Leben abgesehen hatten? Taurins Blick fiel auf Runa, die an der Tür stand und das blutbefleckte Schwert schwang, so kraftvoll, so elegant. Wie kann etwas, das so grausam ist, dachte er, so endgültig und vernichtend, zugleich jedoch so schön sein?
    Die Stille blieb. Runa ließ das Schwert fallen, stoßweise ging Taurins Atem.
    Eine Weile verharrten sie noch, dann schauten Runa und Taurin vorsichtig hinaus, um sich dessen zu versichern, was sie erhofften. Und ihre Hoffnung bestätigte sich. Die Männer waren tot, nur sie lebten.
    Da erklang ein leises Stöhnen von der Bettstatt. Als Runa zu Gisla eilte, sah sie, dass ihr Brustkorb sich hob und senkte, dass auch in ihr noch Leben war. Ein neuer Schwall Blut ergoss sich zwischen ihren Beinen. Gisla bäumte sich auf, und dann sah Runa, dass noch etwas anderes aus ihrem Leib quoll.
    »Runa, so hilf mir doch!«, schrie sie.
    Und Runa half ihr.
    An ihren Händen klebte das Blut der getöteten Franken und das von Gisla, aber andere Hände hatte sie nicht. Sie griff nach dem, was aus dem Leib der Gefährtin ragte, erkannte nicht, ob es ein Füßchen, der Kopf oder die zweite Hand war, und versuchte, vorsichtig daran zu ziehen. Es gelang ihr kaum, die Kraft ihrer Hände zu mäßigen. Wie sollten sie Zartheit aufbringen, nachdem sie doch eben getötet hatten? Aber vielleicht lag gerade darum in diesen Händen eine sonderbare Macht?
    Gisla schrie erneut auf, dann lag das Kind endlich zwischen ihren Beinen - ein Anblick, der Runa kurz Angst machte. Sie ließ das Kleine los und sprang auf, dann beugte sie sich wieder zu ihm hinunter. Noch war das winzige blutverschmierte Wesen mit einer bläulichen Schnur an Gislas Leib gebunden, doch dieser Leib konnte es nicht weiter nähren. Runa wusste von Erzählungen der Großmutter, was sie jetzt tun musste. Einen kurzen Moment sträubte sie sich dagegen, dann atmete sie tief ein, nahm ihr Messer und durchschnitt die Schnur.
    Der Winzling lag reglos da und bewegte sich nicht. Nein, fuhr es Runa durch den Kopf, es darf nicht noch mehr Tote geben, nicht an diesem Tag! Was hatte ihr die Großmutter einst über die Geburt eines Kindes erzählt? Wenn es leben soll, muss es schreien, man muss es an den Füßen hochheben, damit es seinen ersten eigenen Atemzug tun kann. Vorsichtig nahm Runa das kleine Wesen hoch - es glich tatsächlich einem Menschen, einem sehr kleinen Menschen. Der kleine Mensch regte sich nicht.
    »Lebe!«, rief Runa und schüttelte das Kind. »Hörst du? Du sollst leben!«
    Es hatte keinen Sinn. Das Kind war tot, vielleicht schon in Gislas Leib gestorben, vielleicht von Anfang an dazu verurteilt zu sterben. In Wahrheit hatte Runa nie geglaubt, dass Gisla es schaffen könnte, dieses Kind zur Welt zu bringen. Und vielleicht war es auch besser, wenn Thures Kind nicht lebte.
    Doch dann spürte sie, dass da etwas in ihr war, das sich für das Leben entschied, und dass sie, wenn sie so viele Menschen töten konnte, die lebendig waren, offenbar auch einem Kind zum Leben verhelfen konnte, das tot war.
    Da war keine falsche Hoffnung, die sie trieb, kein banges Warten auf Gnade, kein Flehen um Schonung. Da waren nur Stärke und Unbeugsamkeit und Entschlossenheit.
    »Lebe, so lebe doch!«, flehte sie erneut.
    Das Kind hing immer noch leblos mit dem Kopf nach unten. Sie legte es vorsichtig nieder, wischte ihm Nase und Mund ab, und auf den kleinen Mund presste sie ihren, um ihm den Befehl zu leben nunmehr einzuhauchen.
    Runa wurde blind für alles um sie herum. Es gab nur sie und das Kind, und sie war ihm Mutter und Vater zugleich. Nein, sie wollte sich nicht eingestehen müssen, dass sie verloren hatte. Sie wollte mit aller Macht, die sie besaß, dieses Kind ins Leben zurückholen.
    Sie hob den Kopf, holte Atem, presste ihren Mund erneut auf die Lippen des Kindes und ließ ihren Lebensodem entweichen.
    Endlich zuckte das Kind, erst zaghaft nur, dann bewegte es die Ärmchen und Beinchen.
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