Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
Weise eine große Zukunft. Doch wenig später kamen Ludwigs Männer ins Kloster ... nicht, um mich als Verwandten zu ehren oder an den Hof von Laon zu holen, sondern um mich zu töten ...«
    »Aber warum ...«, setzte Gisla an und verstummte.
    Es zählte nicht mehr, warum Taurin Arvid beschützte und warum Arvid in einem Kloster lebte wie sie. Fest stand, dass Taurin sterben würde und sie schuld daran war.
    Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Ich wollte doch nicht ...«
    Ehe ihr aufging, was sie tat, hielt sie Taurins Kopf auf ihrem Schoß.
    »Es ist gut, so zu sterben!« Blut lief ihm aus dem Mund. »Ich bin seit langem krank, du hast mir einen quälend langsamen Tod erspart ...«
    Vergebende Worte. Er sprach so vertraulich zu ihr, als wäre sie eine langjährige Gefährtin, der man das Innerste ausschütten könnte, als wären sie beide nicht Opfer und Mörderin, sondern ganz allein auf der Welt.
    Für Taurin schien sich diese Welt plötzlich im strahlenden Licht zu zeigen. Er riss die Augen weit auf, als würde er etwas ungemein Schönes sehen, das Schönste überhaupt. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, und dieses Lächeln war voller Frieden.
    Und er sagte ein Wort, gab dem Schönen, das sein Gesicht im Sterben so viel jünger und leuchtender und glücklich machte, einen Namen.
    Gisla verstand das Wort nicht.
    Lutetia ... oder Runa.

XIII.
    N ORDMÄNNERLAND H ERBST /W INTER 912 - F RÜHJAHR 913
    Sie hatte es nicht geschafft, Taurin zu töten, aber dennoch war er aus ihrem Leben entschwunden. Als Gisla am Tag nach der Geburt ihres Kindes erwachte, war sein Platz leer, und als Runa von draußen kam, war er nicht an ihrer Seite.
    Gisla blickte Runa fragend an, doch die sagte nichts. Sie beugte sich über das Kind, nahm es hoch und drückte es an sich. Bis jetzt hatte es noch kein einziges Mal laut geschrien, nur ein leises Jammern trat über seine Lippen, das eher nach den Lauten eines Tieres klang als nach denen eines Menschen. Gisla sank auf die Bettstatt zurück. Nicht dass sie das Kind nicht auch betrachten oder halten wollte. Sie hatte keine Angst mehr, einem kleinen Thure ins Gesicht zu blicken, denn das Kind war klein und zart, und das war Thure nie gewesen. Aber sie fühlte sich zu kraftlos.
    »Du musst deinen Sohn nähren«, sagte Runa.
    Gisla rührte sich nicht, und Runa schob an ihrer statt den Stoff ihres Kleids beiseite, sodass ihre Brust bloß lag. Ein kühler Lufthauch traf sie.
    Es wird Winter, dachte Gisla. Noch einmal Winter. Schon wieder Winter.
    »Wird er überleben?«, fragte sie besorgt.
    »Aber gewiss!«, rief Runa. »Sieh nur, wie kräftig er ist, zwar klein, aber kräftig!«
    Sie spürte den Leib kaum, er war so leicht, so weich, so süß. Ja, der Duft, der von diesem Köpfchen aufstieg, war der köstlichste, den sie je gerochen hatte. Doch ihre Brust brannte, als das Kind zu saugen begann; der Schmerz zog sich bis in den Unterleib, und sie fühlte, wie sie zwischen den Beinen feucht wurde. War es Blut, mit dem sie das Kind nährte oder Milch, die zwischen ihre Beine tropfte? War sie eine, die ihr Kind nähren konnte, aber daran zugrunde ging, weil die Kräfte nicht für zwei reichten?
    »Und Taurin?«, fragte sie. »Lebt Taurin noch?«
    Runa hatte sich abgewandt. »Er ist fort«, sagte sie schlicht und nichts weiter. Erst nach einer Weile fügte sie hinzu: »Zurück nach Lutetia.«
    Ihre Stimme zitterte verräterisch. Weil Taurin in seine Heimat zurückkehren konnte, sie aber nicht nach Norvegur? Doch als sie sich Gisla wieder zuwandte und das Kind ansah, lächelte sie, roch die köstliche Süße wohl auch, fühlte es - dieses Weiche, Warme, Glatte, Neue, Unschuldige.
    Sie erfreute sich nicht lange an diesem Anblick, sondern breitete nun ihren Wolfspelz aus, legte Dinge darauf - Werkzeuge, Nadeln, Gefäße - und verschnürte das Ganze zu einem Bündel.
    »Was tust du denn da?«, fragte Gisla verwirrt.
    »Wir müssen auch fort«, erklärte Runa. »Wir haben so viele Franken getötet, aber ich bin nicht sicher, ob nicht einer von ihnen rechtzeitig fliehen konnte. Wenn er eine Nachricht überbringt ... an Adarik ... oder an Hagano ... dann sind wir hier nicht länger sicher.«
    Das Kind schmatzte zufrieden, Gisla jedoch seufzte. »Aber wohin sollen wir gehen? Ich kann doch nicht ...«
    »Nicht gleich«, sagte Runa, »erst morgen. Ich jage ein Tier. Du musst viel essen, um zu Kräften zu kommen.«
    Ohne ein weiteres Wort verließ Runa die Hütte.
    Wie seltsam, ging es Gisla durch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher