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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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meisten hier. Kaum jemand stammt aus Norvegur.«
    Sie löste Arvid von der Brust, hob ihn über die Schulter und klopfte auf seinen Rücken, bis er aufstieß. Dann reichte sie ihn Runa, und kurz senkte sich Stille über sie. Gisla lag immer noch reglos auf der Bank, aber atmete, Arvid gluckste - zum ersten Mal, seit er das Licht der Welt erblickt hatte, gesättigt. Sein Gesicht war nicht länger rot von hungrigem Geschrei. Und Runa war dankbar. Nichts Schlimmes konnte mehr geschehen, wenn eine Frau Arvid nährte, die so selbstverständlich den Namen ihrer Heimat aussprach.
    Audinga stand auf, um etwas zu essen zu holen, und stellte alsbald eine Schüssel vor Runa ab. Sie aß gierig und beugte sich tief darüber.
    Audinga fuhr zu erzählen fort: »Ich war nicht die Einzige, die sich ein nordischer Mann zum Weib genommen hat. Viele unserer Männer und Söhne sind versklavt oder getötet worden und mussten ersetzt werden. Meine Schwester im Nachbarhaus ist nicht mit einem Nordmann verheiratet, sondern mit einem Bauern aus Irland. Als Unfreier und im Gefolge der Nordmänner ist er hergekommen; erst hat er sich mit harter Arbeit seine Freiheit erkauft, dann eigenes Land.«
    »Wo ist dein Mann jetzt?«, fragte Runa.
    »Er ist Richtung Küste aufgebrochen. Dort wächst Wein, und man findet Salz. Es ist fast ein wenig wie früher - die Frauen bleiben so oft allein mit der Arbeit zurück. Früher fehlten die Männer, weil sie tot waren, heute, weil sie es nie lange an einem Ort aushalten.«
    »Ich kann arbeiten wie ein Mann«, erklärte Runa entschlossen.
    »Das ist gut«, sagte Audinga.
    Plötzlich schlug Gisla die Augen auf und blickte sich mit glasigen Augen um.
    »Wo bin ich?«, fragte sie im Fieber.
    »Sei unbesorgt«, gab Runa zurück. »Dein Kind und du, ihr seid vorerst in Sicherheit. Jetzt musst du essen, um zu Kräften zu kommen. Sei stark für den Kleinen.«
    Runa war zuversichtlich, dass auch sie es schaffen würde.
    Fredegards Zelle im Kloster von Chelles war karg und einfach, ihre Pritsche hart, ihr Kleid aus kratzendem Hanf.
    Früher hatte sie schön sein wollen, fein und elegant, nicht um ihrer selbst willen, sondern um dem König zu gefallen. Und sie hatte ihm gefallen, wenn auch nicht genug, damit er ihr gab, was sie wollte. Und sie hatte ihn geliebt, wenn auch nicht genug, um ihm zu verzeihen, dass er die Tochter an den Feind verschachert hatte. Jetzt zählte all das nicht mehr - nicht die schöne Kleidung, nicht der König. Jetzt zählte nur mehr Gisla.
    Fredegard starrte auf das Pergament in ihren Händen, auf dem Gislas Name geschrieben stand. Und noch viel mehr. Er habe nach ihr suchen lassen, wochenlang, es gebe keine Hoffnung, dass sie lebe, ließ Hagano sie in seinem Schreiben wissen.
    Die Zeilen verschwammen vor Fredegards Augen. Ob er falsch wie stets gelächelt hatte, als er sie schrieb? Ob sie die Kraft gehabt hätte, ihn zu schlagen, wenn er selbst vor ihr gestanden und sie ihr laut ins Gesicht gesagt hätte?
    In jedem Fall hatte sie nun die Kraft, aufrecht stehen zu bleiben, die aufsteigende Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu schlucken, das Pergament zu umkrampfen und eine Entscheidung zu treffen.
    Hagano mochte seine halbherzige Suche eingestellt haben, aber solange sie Gislas Leichnam nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, würde sie nicht aufgeben. Haganos Männer hatten wohl die Wälder durchforstet, Bauern gefragt, Nordmänner zur Rede gestellt, aber waren sie auch von Kloster zu Kloster gegangen, viele zerstört, manche nach Rollos Taufe aber auch wieder bewohnt und vielleicht Zufluchtsort der Tochter?
    Fredegard hatte von Mönchen gehört, die diese Nacht im Kloster in Chelles schliefen und am kommenden Morgen zu ihrer Pilgerreise in den Norden aufbrechen würden. Sie ließ das Pergament zu Boden fallen, stieg darüber hinweg und verließ die schlichte Zelle, um mit ihnen zu sprechen.
    Die Ernte war in diesem Jahr, wie Runa schon vermutet hatte, reichlich ausgefallen. Audinga glaubte, dass es ein Zeichen von Gottes Zuspruch für den Frieden zwischen Nordmännern und Franken war. Gott musste überdies die Taufe der Heiden, die mit diesem einherging, gefallen - fast mehr noch als der Friede selbst. Aber die reiche Ernte war bestimmt auch die Folge der neuen Pflugscharen, die aus dem Norden kamen.
    Wenn Audinga langsam und ruhig erzählte, änderte sich ihr Tonfall nicht - ganz gleich, ob es um den Tod des ersten, das Leben mit dem zweiten Mann oder die Verwendung besagter Pflugscharen

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