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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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umwölkt, aber ansonsten war sie stets beherrscht, trug ihr Schicksal, das kein leichtes war, mit Würde, und ließ die Welt nicht an dem Schmerz teilhaben, der ihr insgeheim jede Stunde vergällte. Sie sprach nie darüber, aber Gisla wusste natürlich, was die Mutter betrübte. Wenn die Kemenate auch fern vom Hofe lag und ihre dicken Steinmauern dessen Laute verschluckten - manch Tuschelei drang an ihr Ohr, so auch darüber, dass Fredegard nur die Konkubine des Königs war, nicht seine Gattin. Und dass Gisla nichts weiter als ein Bastard gewesen wäre, wenn der König sie nicht als rechtmäßige Tochter anerkannt hätte.
    Rechtmäßig oder nicht - dem Rang nach zählten ihre jüngeren Halbschwestern mehr, Kinder der wahren Königin, die mit dem königlichen Vater und dessen Haushalt von Pfalz zu Pfalz zogen, während Gisla mit ihrer Mutter in Laon lebte und die dortige Kemenate so gut wie nie verließ. Als Gefängnis empfand sie sie trotzdem nicht. Es machte ihr nichts aus, in einigen wenigen Räumen zu leben. Ganz gleich, was der Priester sagte - singen konnte sie hier so gut wie in der Kapelle.
    »Was sollen wir tun?«, fragte sie Begga.
    Die Amme wusste keinen Rat. Sie kleidete Gisla jeden Morgen an und jeden Abend aus, kämmte ihr das weizenblonde Haar und lauschte hingerissen ihrem Gesang; sie schlief am Fußende ihres Bettes, sorgte im Winter dafür, dass es warm und im Sommer, dass es kühl blieb. Mehr Aufgaben hatte sie nicht. Und so war es schließlich nicht ihre, sondern Gislas Entscheidung, dem Schrei zu folgen.
    Die junge Frau zitterte und steckte ihren Schleier fest. Für gewöhnlich verließ sie ihre Kemenate nicht ohne Erlaubnis und nur in Begleitung der Mutter. Auch Begga schien zunächst unsicher, trabte ihr aber schließlich willig hinterher.
    »Das dürft ihr nicht tun!«, gellte es wieder durch die Gänge.
    War es der Vater, mit dem Fredegard so schrie? Obwohl doch niemand mit ihm schrie, dem König von Gallia, nach seinem Großvater, den man auch den Kahlen genannt hatte, und nach dem Ururgroßvater, der der Große gewesen war, Karl getauft?
    Der Gang mündete in die Gemächer der Mutter, doch diese standen leer. Gisla durchquerte den Raum, öffnete die Tür aus Eichenholz an dessen anderem Ende, betrat nun den Speisesaal, größer als die Kemenate und schöner, die Wände bemalt und mit Luchs- oder Auerochsfellen bedeckt. Manchmal hatte Gisla hier gegessen - nicht nur mit der Mutter, sondern auch mit dem Vater, und vor Aufregung, dem König gegenüberzusitzen, hatte sie keinen Bissen heruntergebracht. Auch jetzt wurde ihr die Kehle eng, als ihre Schritte von den Wänden widerhallten. Das einzige Fenster - mit rundem Bogen und aus seltenem Glas - war nach außen hin geöffnet, im Kamin brannte trotz der lauen Sommerluft, die hineinwehte, ein Feuer.
    Und tatsächlich fand sie Vater und Mutter im Speisesaal vor. Edel wie die Einrichtung war die Kleidung ihres Vaters - er trug eine prächtige Tunika, weiße Handschuhe und golddurchwirkte Schuhe. Glanzlos jedoch war sein Bart an diesem Tag, und seine Haltung verhieß nichts Gutes.
    Auch darüber wurde in Gislas Kemenate getuschelt: dass der Vater von der Angst erdrückt wurde, seine Krone zu verlieren. Mächtige Feinde hatten sie ihm von Kindheit an streitig gemacht. Einer von ihnen, König Odo, hatte sie ihm einst sogar gestohlen. Nach seinem Tod war Karl nun wieder Herrscher, was er mehr dem Glücksfall verdankte, dass Odo keine Söhne hatte, nicht dem Vertrauen, das die Großen des Landes in ihn setzten. Doch es gab genügend Widersacher, die auf der Lauer lagen und auf sein Scheitern warteten.
    Zwei weitere Männer standen bei der Mutter und dem Vater, und als Gisla sie erblickte, wurde ihr die Kehle noch enger.
    Hagano, ein Verwandter der rechtmäßigen Königin, stammte aus Lothringen. Fredegard hasste ihn, weil er sich - obwohl nichts weiter als ein Emporkömmling - als Staatsmann gab, weil er sich anmaßte, stets rechts vom König zu sitzen und mit ihm die Botschafter des Reichs zu empfangen, obwohl dies eine Beleidigung für die großen Adelsfamilien war, und weil der König ihn gewähren ließ, anstatt ihm Grenzen aufzuzeigen. Fredegard fragte oft, warum Karl sich ausgerechnet einen eitlen, genusssüchtigen, herzlosen Mann zum engsten Vertrauten und Berater auserkoren hatte - die Antwort darauf kannte niemand.
    Der zweite Mann, der im Saal stand, war Gisla fremd. Kurz dachte sie, es sei Ernustus, des Königs Kanzler, den sie zwar noch nie

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