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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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Frage nicht ab. »Das kannst du nicht tun!«, schrie sie. »Ob sie nun Christen werden oder nicht, niemand macht die Gräueltaten der Nordmänner ungeschehen - Taten, die sich nicht in Worte fassen lassen. Jeder weiß doch: Auch wenn hundert scharfe, gewandte eherne Zungen und hundert redselige, laute, nimmermüde Stimmen von jenen Taten berichten würden, so könnten sie doch nicht ausreichend darüber klagen, was alle Männer und Frauen, Alte und Junge, Hohe und Niedere, an Leid und Unterdrückung durch diese furchtbaren, ganz und gar heidnischen Menschen erlitten haben.«
    Gisla hörte nicht, was sie sagte, vernahm nur einen Namen: Rollo. Und dann ihren eigenen: Gisla.
    Rollo und Gisla.
    Hinter sich hörte sie Begga aufstöhnen, sie hatte gar nicht bemerkt, dass diese im Saal geblieben war. So kalkweiß die einstige Amme auch war, zumindest bewahrte sie die Fassung. Die Mutter hingegen konnte das nicht. Sie fiel auf die Knie und faltete die Hände.
    »Summa pia gratia nostra conservando corpora et custodia, de gente fera Normannica nos libera, quae nostra vastat, Deus, regna«, betete sie inbrünstig.
    Unsere höchste und heiligste Gnade, die uns und das Unsere schützt, bewahre uns, Gott, vor dem wilden Geschlecht der Nordleute, das unsere Reiche verwüstet.
    Da trat der König auf sie zu, beugte sich zu ihr und umfasste ihre Hände. Sie ließ ihn gewähren, nicht aber, dass er sie aufrichten wollte. Sie kämpfte dagegen an, und am Ende sank er selbst kraftlos auf die Knie und begann ein Gebet zu murmeln. Gisla verstand seine Worte nicht, doch wahrscheinlich flehte er Gott an, dass er sein Reich und seine Macht schützen möge, vor allem aber seine Tochter, die Älteste, von ihm als rechtmäßig anerkannt und dennoch nur das Kind einer Konkubine.
    »Ihr wisst, dass Ihr es tun müsst«, sagte der Bischof von Rouen.
    Hagano sagte nichts, sondern lächelte scheinbar bedauernd.
    »Ich weiß es«, sagte der König. Er umarmte seine Konkubine, was er noch nie vor den Augen anderer getan hatte. »Ich weiß es. Um den Friedensvertrag zu bekräftigen, wird Gisla Rollo heiraten.«
    Gisla umarmte er nicht.
    Gisla lag zitternd in ihrem Bett, einen Wärmestein an ihren Leib gepresst. Begga hatte ein Kohlebecken herangeschoben, dessen Hitze spürte sie jedoch nicht. Nichts spürte sie - auch nicht das mit weichen Federn gefüllte Kopfkissen unter ihrem Nacken oder die Decke aus Biberfell, die bis zu ihrem Kinn hochgezogen war. Sie roch weder das Nussöl der Lampe noch schmeckte sie den Gewürzwein, den Begga ihr zuvor an die Lippen gesetzt und den sie nach dem ersten Schluck verweigert hatte. Nur die Blicke der Mutter und der einstigen Amme spürte sie.
    Sie hatten sie gezwungen, sich ins Bett zu legen, und standen nun daneben, voller Angst auf sie herabblickend. Gisla selbst hatte keine Angst, fühlte nur Traurigkeit, weil des Vaters Schultern so tief herabhingen, als sie den Raum verlassen hatte, und weil die Mutter unablässig gebetet hatte. Zwischen den beiden schien eine unsichtbare Wand zu stehen, obwohl es doch hieß, dass der Vater die Mutter so geliebt hätte - damals, in seinen jungen Jahren, als er noch kein König gewesen war, aber ungleich fröhlicher. Und als es Fredegard noch gleichgültig gewesen war, ob man sie mit ihrem Namen ansprach oder einem Titel.
    »Ich werde es verhindern«, sagte die Mutter.
    Sämtliche Kraft schien sie verbraucht zu haben. Sie brachte nur ein Flüstern zustande, heiser und erstickt.
    Begga starrte sie an. »Wie wollt Ihr das tun?«
    Gisla schloss die Augen.
    Rollo. Der Wüstling aus dem Norden. Der Antichrist. Die Geißel Gottes. Die Heimsuchung des Satans. Wie sahen sie aus, die Nordmänner? Sahen sie aus wie fränkische Krieger?
    In ihrem sechzehn Jahre währenden Leben hatte Gisla nicht viele Männer gesehen, die keine Könige, deren Berater oder Priester waren. Doch einige Wochen zuvor war sie Kriegern begegnet - im Garten, dem dritten Ort neben Kemenate und Kapelle, in den die Mutter und die Amme sie gehen ließen. Anderswo, so sagten sie, sei die Welt zu groß, zu laut, zu wild für sie, man dürfe sie ihr nicht zumuten ob all der Gefahren und Bedrohungen des Schicksals. Im Garten, der von einem kleinen Mäuerchen begrenzt wurde, war die Welt nicht bedrohlich. Es roch nach Lilien und Rosen, Hornklee und Frauenminze, deren Blütenblätter im Wind erzitterten. Und über das Mäuerchen kam an jenem Tag ein Jagdhund gesprungen, mit Ohren schmal und so lang, dass sie beinahe den
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