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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Julia Kröhn
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überstanden. Sie schloss die Augen, und wenn sie sich auch nicht an das Gesicht ihrer Mutter erinnern konnte, stand das von Asrun deutlich vor ihr: gütig und vertrauensvoll, tröstend und ermutigend, trotzig und entschlossen.
    Runa atmete tief durch, ehe sie sich vorwagte, um zu sehen, wie viele Pferde auf sie zukamen, wer auf ihrem Rücken ritt und ob diese Reiter bedrohlich schienen oder nicht. Vielleicht würde sie vor ihnen davonlaufen, vielleicht sich vor ihnen verstecken, vielleicht sogar gegen sie kämpfen müssen.
    Nur aufgeben - aufgeben würde sie nicht.

K LOSTER S AINT -A MBROSE IN DER N ORMANDIE H ERBST 936
    Nebel stieg vom regennassen Boden auf, die Äbtissin vermeinte, in einem grauen Sumpf zu waten. Die Ränder ihres Kleides, schwarz, wie es alle Nonnen als Zeichen der Enthaltsamkeit trugen, hatten sich mit Schlamm vollgesogen. Sie ging im Hof des Klosters auf und ab und hoffte, dass niemand sie beobachtete, dass niemand die Unsicherheit sah, die ihr im Gesicht geschrieben stand, und nicht die Zerrissenheit. Sie war erleichtert, dass der junge Mann nach nunmehr drei Tagen das Schlimmste überstanden zu haben schien, und hatte zugleich voller Angst der Stunde geharrt, da er die Augen aufschlagen würde.
    An diesem Tag war das geschehen.
    Ja, er sei erwacht, hatte die Krankenschwester, ebenso gründlich wie gleichgültig in allem, was sie tat, bestätigt. Man habe ihn, da nicht länger mit dem Schlimmsten zu rechnen sei, aus der Aderlassstube gebracht. Stattdessen liege er nun in jenem Häuschen bei der Pforte, wo man gewöhnlich Gäste empfinge. Bis jetzt habe er noch kein Wort gesprochen.
    In den letzten Tagen hatte die Krankenschwester seine Blutungen mit Kerbel gestillt, hatte mit Wermut das Fieber gesenkt, hatte die Wunde mit einem dünnen Hanffaden genäht, hatte ihm schließlich nicht nur heißen Brombeerwein eingeflößt, sondern auch Rinderbrühe. Nachdem er nun endlich erwacht war, hatte er erstmals wieder etwas Festes essen können: einen Bissen Brot, ein Stück Käse und etwas von den gekochten, mit Schweineschmalz gefetteten Bohnen. Offenbar hatte er es vertragen. Zum Reden hatte es ihn nicht gebracht.
    Die Äbtissin atmete tief ein, dann lenkte sie ihre Schritte Richtung Pforte.
    Schwester Mathilda beaufsichtigte den Verletzten, da die Krankenschwester anderswo gebraucht wurde. Die Äbtissin hatte dem Mädchen strikt verboten, Unruhe zu stiften und im Kloster zu verkünden, dass der junge Mann vielleicht auf der Flucht vor Nordmännern war. Mathilda hatte gehorcht und geschwiegen, doch das hatte ihren Ängsten nicht die Macht genommen. Nach einigen durchwachten Nächten sah man ihr die Erschöpfung deutlich an.
    Als die Äbtissin die Krankenstube betrat, fuhr Mathilda hoch. »Etwas geht nicht mit rechten Dingen zu!«, rief sie panisch. »Seit ... er hier ist, fliegen die Krähen niedriger, und die Katzen fressen weniger Mäuse. Das sind Zeichen, dass uns ein Unglück bevorsteht!«
    »Das sind keine Zeichen, das ist Aberglaube«, erklärte die Äbtissin scharf.
    »Und Schwester Bernharda behauptete gestern Abend, dass sie auf dem Himmelszelt einen Kometen gesehen habe«, fuhr Mathilda ungerührt fort. »Ein solcher kündigt Kriege an!«
    Die Äbtissin schüttelte den Kopf. »Als das letzte Mal ein Komet gesehen wurde, herrschte danach Dürre, kein Krieg.«
    »Aber ...«
    »Genug!«, unterbrach die Äbtissin sie streng. »Diesmal will ich deine vorlauten Worte überhört haben, aber wenn du dergleichen noch einmal aussprichst, wirst du dafür Buße tun.«
    Für gewöhnlich ging sie mit ihren Nonnen nicht so streng ins Gericht. Sie war nachlässig, wenn es galt, alle Sünden, die großen wie die kleinen, zu ahnden - durch Fasten oder stundenlanges Gebet, durch Frieren oder durch Schlafentzug, durch grässliche Arbeiten wie das Leeren des Aborts oder das Knien auf kaltem Boden. Nein, nichts davon forderte sie, wenn eine es nicht freiwillig tat, sondern begnügte sich damit, dass die Nonnen nicht stritten, das Essen gerecht verteilt und die alltäglichen Pflichten halbwegs gründlich erledigt wurden. Bruder Ludwig vom Nachbarkloster war mit ihrer Amtsführung nicht immer einverstanden, doch er kam nur einmal im Jahr, stets vor Beginn der Fastenzeit, und sein Nörgeln wuchs nie zu ernsthaftem Tadel. Er wusste schließlich, wer sie war, und drückte darum beide Augen zu. Außerdem lebten die Schwestern nach den Regeln des heiligen Benedikt, nicht nach denen des heiligen Columban, und Erstere
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