Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Brautschatz abgelenkt zu sein, über den sich Thures Männer unterdessen hermachten.
Doch noch ehe die fränkische Prinzessin den Wagen überhaupt verlassen hatte, zeigte sich der wahre Plan. Thures Männer kamen nicht etwa leise und heimlich, sondern laut schreiend und mit schwingenden Waffen aus dem nahen Wald gestürmt, und wenn jene Waffen - Wurfschlingen, Keulen und Streitaxt - verglichen mit den Schwertern der Krieger, die die Prinzessin geleiteten, auch einfach wirkten, so waren sie nicht minder tödlich. Schon ging einer jener Männer, die neben Runa standen, zu Boden. Ein zweiter zog hingegen blitzschnell das Schwert, um die Angreifer abzuwehren. Runa rutschte der Umhang vom Kopf, und prompt ging der Krieger mit seinem Schwert auf sie los. Mit ihren kurzen Haaren hielt er sie für einen Mann.
Ehe sie gewahr wurde, ihr Messer überhaupt gezogen zu haben, hatte Runa es ihm in den Leib gestoßen. Warmes Blut lief über ihre Hand. Noch während der Krieger sich krümmend daraufstarrte, kam einer von Thures Männern und schlug ihm seinen Kopf ab. Runa hörte nicht, wie der Krieger fiel, zu laut schrien die blindwütig mordenden Männer; zu überraschend war ihr Angriff für die Franken, um ihn mühelos abzuwehren. Thures Ziel - die fränkische Prinzessin zu entführen, um solcherart reicher zu werden und möglichst viel Zerstörung zu säen - rückte in greifbare Nähe. Schon sah Runa, wie einer von Thures Männern die Wagentür aufriss und ein Mädchen herauszerrte - die Prinzessin. Sie hatte blondes Haar und zarte Glieder, Haut so weiß wie Milch, und ihre Augen waren weit aufgerissen. Runa fühlte das Blut auf ihrer Hand erkalten - das Blut eines Mannes, den sie nie hatte töten wollen.
Die Prinzessin wehrte sich heftig, ähnlich wie sie selbst sich gewehrt hatte, als ihr Vater sie gewaltsam aus der Heimat fortschaffte. Ohne nachzudenken, was sie tat, stürzte Runa auf die beiden zu. Runas Zorn wurde zu einer gleißenden Flamme, die alles versengte. Sie würde es Thure heimzahlen - des Vaters Tod ebenso wie den Betrug an ihr. Wenn sie ihm nicht vertrauen konnte, so sollte er auch nicht auf sie setzen dürfen.
»Gib sie mir!«, schrie sie den Mann an.
Runa bekam eine zarte weiße Hand zu fassen. Kalt war sie, leblos, vielleicht war das Mädchen vor Schreck gestorben. Runa glaubte nicht, dass ein Wesen mit solch weißer Haut lange in der rauen Welt überleben könnte.
Der Mann überließ sie ihr bereitwillig. Wer immer die Blutgier geweckt hatte, die in seinen Augen stand - ob Thure, die kalten Winter im Frankenland oder zu viel Hunger: Er wollte kämpfen, anstatt die Prinzessin zu verschleppen, und er schien sicher, dass Runa ihm diese Aufgabe abnehmen würde.
Als Runa das Mädchen an sich zog, richteten sich die blauen Augen auf sie. Erst war der Blick starr, dann fiel er auf die gefallenen Krieger. Die Prinzessin riss die Augen auf. Sah sie zum ersten Mal Tote? Runa beneidete sie für ihre Unschuld und bedauerte gleichzeitig, dass diese Unschuld für immer verloren war.
Doch wenn sie ihr den Anblick von Toten auch nicht ersparen konnte, so konnte sie zumindest versuchen, sie wieder in den Wagen zu zerren. Es gelang ihr nicht. Die weiße Hand klammerte sich an ihre, stärker, als sie der schwächlichen Königstochter zugetraut hätte.
In diesem Moment erzitterte die Erde. Nur wenige Krieger hatten den Brautzug begleitet - umso mehr ritten an der Spitze des Zugs mit Rollo und dem Bischof von Rouen. Der Lärm hatte sie herbeigelockt, und sie kamen von allen Seiten, um nicht nur Thures Männer, sondern auch sie selbst einzukreisen.
Rollos Männer schlugen nicht schnell und wütend zu, sie führten ihre Hiebe sorgfältig aus. Äxte barsten unter Schwertern, Stahl zerschnitt Haut und Knochen gleichermaßen.
Und nicht nur an Waffen und Kriegskunst waren sie Thures Kriegern überlegen, sondern auch wegen ihrer Kleidung: Anders als diese trugen sie schwere Kettenhemden, die selbst Stößen standhielten, unter denen Pelz und Leder gerissen wären.
Doch obwohl Thures Männer nun zahlenmäßig unterlegen waren - die Mordlust blieb. Das durchdringende Geschrei, das Runa an das Heulen von Wölfen erinnerte, riss kaum ab. Setzten Rollos Männer mehr auf Kraft und das Ausführen klar erteilter Befehle denn auf Schnelligkeit, bewegten sich die Thures immer hektischer. Und hinter ihren Regungen war keinerlei Plan zu erkennen, nur wildes Wüten und rohe Gewalt.
Runa fühlte sich von diesem Anblick wie gelähmt. Sie
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