Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
begleiten. Es würde Misstrauen erwecken, hatte Fredegard erklärt, wenn die Dienerin der Prinzessin in Saint-Clair-sur-Epte zurückbliebe.
In Rouen würde Rollos Braut für die Zeit des Katechumenats ihres künftigen Gatten in der Obhut des Bischofs leben. Zu Ostern schließlich würde die Taufe vollzogen - und die Ehe mit der fränkischen Prinzessin gleich darauf auch. Sie und ihre Mutter hofften, dass der Bischof nichts bemerken würde - hatte er sie doch nur einmal gesehen, obendrein mit Schleier, und glich Aegidias Statur und Haarfarbe doch der ihren.
Obwohl Aegidia so viel und gerne redete, antwortete sie auf die Frage, ob sie Furcht habe, nicht. Sie schwieg vielmehr betroffen und senkte ihren Blick. Gisla sah noch einmal hinaus.
So viele Krieger, ging ihr durch den Kopf, und so viel Himmel.
Die Luke war eigentlich mit einem Stück Leder verhängt, doch sie hatte es beiseitegeschoben, um hinaussehen zu können. Nun zog sie es wieder vor, damit niemand hineinschauen konnte.
»Wir ... wir müssen es jetzt wirklich tun«, beharrte Gisla, rieb die Steine der Kette aneinander und hob dann die Hand, um die von Aegidia zu berühren. Sie spürte, wie das Mädchen zusammenzuckte.
»Aegidia, wir haben nicht mehr viel Zeit ...«
»Ja«, fiel diese ihr mit schriller Stimme ins Wort, »›ich will lieben, was du liebst, und hassen, was du hasst‹ - das ist der Lehnseid. Aber bevor Rollo diese Worte sprechen wird, muss Graf Robert, sein künftiger Pate, ihn dem König als Lehnsmann empfehlen: ›Du wirst keinen ehrenhafteren Lehnsmann als diesen finden‹, wird der Graf sagen. Und dann muss er die gefalteten Hände Rollos in die des Königs legen.« Sie zuckte die Schultern. »Bruder Hilarius war sich nicht sicher, ob Rollo dazu bereit ist, denn die Barbaren aus dem Norden haben keinen Sinn für Sitte und Anstand. Doch wenn er es tut, so verspricht ihm der König seine Tochter und nimmt Rollo in seine Familie auf.«
Die Worte klangen nicht so, als gäbe sie ihre eigenen wieder. Jemand musste sie ihr vorgesagt haben, vielleicht Fredegard.
Während sie sprach, hektisch und laut, hatte Aegidia jäh begonnen, an ihrer Kleidung zu zerren, als könnte es ihr nach dem langen Zögern gar nicht schnell genug gehen, sie endlich abzulegen.
Gisla war nicht sicher, woher diese plötzliche Hast rührte - ob von der Verzweiflung, weil ihr Schicksal so ausweglos war, oder von Entschlossenheit, diesem Schicksal das Beste abzugewinnen. In jedem Fall folgte sie Aegidias Beispiel, schnürte den Gürtel auf, legte die Palla ab - und hielt inne.
Sie hatte ein Geräusch vernommen, das erst wie das Kläffen von Hunden klang, dann nach einem Lachen - dem tiefen, brummenden Lachen von schweren, großen Männern.
Schnell zog sie die Palla wieder vor der Brust zusammen, schob das Leder beiseite und sah durch die Luke. Die Krieger, die um die Kutsche postiert waren, um den Brautschatz zu bewachen, lachten nicht. Kam das Gelächter etwa von der Kirche? Obwohl man an einem geweihten Ort wie diesem doch nicht lachen durfte?
Schließlich hörte Gisla nicht nur Lachen, sondern auch Schritte.
»Zieh dich wieder an!«, zischte sie Aegidia zu.
Hastig schloss sie die Palla mit ihrer Brosche. Als das Gefährt geöffnet wurde, hatte sie den Gürtel noch nicht wieder umgelegt, aber Bruder Hilarius war viel zu aufgeregt, um es zu bemerken.
»Welch eine Schande!«, rief er entrüstet, während er in den Wagen kletterte. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, denn er war klein und rund, und niemand reichte ihm die Hand, um ihm zu helfen. »Welch eine Schande!«
»Hat Rollo den Lehnseid doch nicht abgelegt?«, fragte Aegidia - und der hoffnungsvolle Klang in ihrer Stimme schmerzte Gisla.
Noch mehr schmerzte sie die eigene Schuld. Es war zwar nicht ihr Plan gewesen, die junge Frau zu ihren Gunsten zu opfern, aber als ihn die Mutter ausgeheckt hatte, hatte sie keinen Einspruch erhoben.
Bruder Hilarius schüttelte den Kopf. »Der König und Rollo haben sich in der Kirche getroffen«, berichtete er aufgeregt. »Alle waren zunächst guter Dinge. Rollo sprach den Lehnseid - an Karl gerichtet, den König eines gläubigen Volkes, das mit Inbrunst die Gesetze des Königs ehrt, des Königs, der sich nach dem Schwur an Rollo richtete mit den Worten: ›Du, der du dieses Lehen erhalten hast, solltest des Königs Fuß küssen.‹« Hilarius wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Und da sagte Rollo plötzlich«, fuhr er fort, »er werde niemals seine Knie vor
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