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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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wusste, dass nicht nur die Männer sterben würden, sondern auch sie selbst, und dass es ihre Schuld war, weil sie die fränkische Prinzessin geschützt hatte, die ins Wageninnere geflüchtet und nun hinter der verschlossenen Tür verborgen war. Und der letzte Gedanke, der ihr durch den Kopf gehen würde, war nicht, dass sie das Richtige getan hatte, sondern dass sich das Richtige nie lohnte, dass man im Blut geboren wird und im Blut umkommt.
    Dann jedoch vernahm Runa inmitten der Kampfeslaute und des Geheuls ein anderes Geräusch, verhasst und unerträglich und doch gerade darum tauglich, sie aus der Starre zu reißen: Thure lachte. Noch aberwitziger als sein Gelächter aber war, was er tat. Er mischte sich in die Schlacht, doch nicht, um nun auch selbst zu töten, sondern um die ohnehin schon reglosen Leiber der Gefallenen aufzuschlitzen, sodass noch mehr Blut floss.
    Runa gab den Schutz des Wagens auf, um besser sehen zu können. Eine Streitaxt flog auf sie zu, und sie wich ihr geschickt aus. Kurz glaubte sie, dass es einer von Thures Männern auf sie abgesehen hatte, doch dann erkannte sie, dass diese nicht länger Herr ihrer Regungen waren. Niemand konnte mehr zwischen Feind und Freund unterscheiden. Zu einem einzigen monströsen, vielgliedrigen Leib schienen die Menschenleiber zusammengewachsen zu sein. Thure stand etwas abseits, und als Runa auf ihn zustürzte, begriff sie, was er mit seinem Blutvergießen bezweckte. Er warf Rollos Kriegern die Leichen entgegen, und wenn diese sie auch nicht scheuten - die Pferde, auf denen sie ritten, taten es umso mehr. Sie rochen das Blut und stiegen wiehernd hoch.
    Runa begriff, dass Thures Taktik aufging. Erst am Abend zuvor hatte er davon gesprochen: dass die Nordmänner bei der Schlacht um Chartres ihre Pferde geschlachtet, zerteilt und zu einer Mauer aufgehäuft hatten, die die Tiere der Franken panisch stimmte, und dass sie damit ihr Ziel erreicht hatten, weil dem Tier zuwider bleibt, woran sich der Mensch so schnell gewöhnt. Obwohl die Reiter in ihre Flanken schlugen, wichen die Pferde zurück; der enge Kreis, den sie um die Wagen gezogen hatten, öffnete sich, und inmitten des Gewühls war plötzlich ein schmaler Weg auszumachen, der direkt in den Wald führte. Dort, zwischen den hohen Bäumen, zählte nicht mehr, wer bessere Waffen besaß und stärkere Kettenhemden trug, sondern wer das Gebiet kannte und wusste, wo gefährliche Sümpfe lauerten.
    Runa sah, dass Thure fortlief - offenbar fürchtete er den Ruf, ein Feigling zu sein, an diesem Tag ebenso wenig wie an dem, da er ihren Vater heimtückisch vergiftet hatte, anstatt ihn im offenen Kampf zu fordern. Und während Runa ihn damals dafür verachtet hatte, verstand sie ihn jetzt gut. Sie folgte ihm ebenso hastig wie die wenigen Männer, die überlebt hatten. Runa konnte den Wald schon riechen, Gras und Moos und das Herbstlaub. Dunkelheit und Einsamkeit erschienen ihr nicht bedrohlich wie sonst, sondern höchst willkommen.
    Doch kaum hatte sie den Schatten der ersten Bäume erreicht, traf sie ein Stoß in den Magen. Sie hatte die Faust nicht kommen sehen und ihre Muskeln nicht rechtzeitig anspannen können. Eine Welle des Schmerzes schlug über ihr zusammen, und als sie endlich wieder atmen und schauen konnte, stand Thure vor ihr.
    »Verräterin!«, zischte er. Sie war nicht sicher, ob er es verächtlich oder anerkennend sagte.
    »Du sagst mir nicht, was ich zu tun habe«, gab sie keuchend zurück. »Du solltest mir nicht mehr vertrauen als ich dir.«
    »Das ist richtig«, gab er zurück und versetzte ihr einen neuerlichen Stoß.
    Diesmal wappnete sie sich gegen die Faust, doch auch wenn es nicht ganz so schmerzte, hielt sie der Wucht nicht stand. Runa stolperte, fiel zu Boden und rollte die kleine Böschung hinab, die zum Wald führte. Thures Männer trampelten über sie hinweg, doch sie fühlte es kaum, nahm nur wahr, dass sie unter freiem Himmel lag und dass es hier nichts gab, wo sie sich verstecken konnte.
    Plötzlich stand einer von Rollos Kriegern vor ihr, packte sie am Arm und zerrte sie hoch.
    Das Bild vor ihren Augen verschwamm. Sämtlicher Überlebenswille schrumpfte zur Hoffnung, schnell und ohne Schmerzen sterben zu dürfen.
    Doch der Tod kam nicht, weder schnell noch langsam: Was immer Rollos Männer mit ihr vorhatten - noch ließen sie sie am Leben.
    Als sie Rouen erreichten, zitterte Gisla immer noch. Ihre Sinne konnten kaum fassen, was ihr zugestoßen war, wieder und wieder durchlebte sie die

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