Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
und sind dazu verdammt ...«
Gisla vernahm die restlichen Worte nicht mehr. Die Schritte entfernten sich, die Tür wurde geschlossen, sie war wieder allein. Zitternd huschte sie den Gang entlang, während ihr Herz bis zum Hals schlug.
Töten ... sie wollen mich töten, ging ihr im Takt der Schritte durch den Kopf. Nein, berichtigte sie sich alsbald, sie wollen nicht mich, sondern Aegidia töten. Weil jene nun Gisla ist ...
Aufseufzend blieb sie stehen.
Wenn sie alles richtig verstanden hatte, war Popa die Konkubine von Rollo - und sie wollte ihre Nebenbuhlerin töten. Oder vielmehr töten lassen. Von diesem Taurin, einem Franken und Sklaven und überdies ihrem Vertrauten.
Gisla eilte weiter, panisch, aber zugleich entschlossen, jegliches Leid von Aegidia abzuwenden.
Unter einer Fackel hielt sie inne. Aegidia warnen zu wollen hieß, sie erst einmal zu finden, und obwohl der Lichtschein sie blendete, machte er aus diesem Ort keinen vertrauten. Einmal mehr fühlte sie sich in einem unentrinnbaren Labyrinth gefangen. Ein Raum glich dem anderen und doch wieder nicht, und so entschlossen sie eben noch Schritt vor Schritt gesetzt hatte, so gewiss wurde sie sich nun, dass sie nicht einmal zu ihrem Schlafplatz zurückkehren konnte, geschweige denn auf Aegidias Gemach stoßen konnte.
Fieberhaft überlegte sie, was sie tun sollte, als jäh ein Schatten auf sie fiel.
Wie aus dem Nichts gekommen standen ihr zwei Männer gegenüber und starrten sie an.
»Was machst du hier?«, fragte einer, eher verwirrt als verärgert.
Sie war zu erschrocken, um den Sinn der Frage zu begreifen. Was ihr überforderter Geist jedoch erfasste, war, dass diese Männer fränkisch zu ihr sprachen - vielleicht Sklaven wie Taurin und ebenso gewillt, sie zu töten.
Gisla fuhr zurück und presste sich an die Wand.
Die Männer fragten nunmehr wie aus einem Mund: »Warum bist du hier? So ganz allein?«
Wieder klangen die Worte nicht ärgerlich, eher besorgt, und bevor sie den Grund für ihre Sorge benannten, fügte der eine Mann etwas hinzu. Ein Wort nur. Einen Namen. »Gisla.«
Die Wand, an die sie sich lehnte, schien zu wanken. Töten wollen die Männer mich wohl nicht, ging ihr auf, aber sie hatten sie erkannt. Und nun stellte auch sie fest, dass ihr diese Gesichter vertraut waren. Die Männer waren Krieger, und sie gehörten zu jener Truppe, die sie auf der Wegstrecke von Laon nach Saint-Clair-sur-Epte begleitet hatten. Eigentlich wollten sie wie Bruder Hilarius dort zurückbleiben - der Mönch, weil er nicht unter den Heiden leben wollte, die fränkischen Krieger, weil es ihnen verboten war, Rollos Land zu betreten. Doch diese beiden hatten sich dem Verbot offenbar widersetzt und ließen sich überdies von Aegidias und ihrer Täuschung wohl nicht blenden.
Gisla verkrampfte sich, zitterte noch stärker, aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich von der Wand zu lösen und ihnen entgegenzutreten. Als sie den Wagen in Laon bestiegen und diese Männer zum ersten Mal gesehen hatte, war sie unter ihrem Blick errötet. Nun fror sie zu sehr und war zu entsetzt, um rot zu werden.
»Ich ... ich ...«, stammelte sie.
»Was machst du hier so ganz allein, Gisla?«, ertönte wieder die gleiche Frage.
Die Blicke glitten über ihren schmächtigen Leib und das einfache Kittelkleid, das diesen verhüllte, und sie sah Empörung aufblitzen. »Wie kann er nur?«
Die Empörung galt nicht ihr und ihrem Betrug, wie sie zunächst dachte, sondern dem Bischof, der für ihr Wohlergehen Sorge zu tragen hatte, aber sich in den Augen der beiden Männer nicht einmal um ihre Kleidung scherte.
»Es ist nicht schlimm«, murmelte sie schnell, und ehe sie ein weiteres Mal zu wissen forderten, was sie hier trieb, beschloss sie umgekehrt zu fragen: »Warum seid ihr nicht nach Laon zurückgekehrt?«
Ihre Stimme klang hoch und fremd.
»Wir heißen Faro und Fulrad«, erklärte der eine, »und wir sind von deinem Vater beauftragt worden, dir heimlich nach Rouen zu folgen und dort ein Auge auf dich zu haben. Ihm war der Gedanke unerträglich, dass du ganz ohne Schutz hier leben müsstest, und sein Misstrauen, dass Bischof Witto nicht ausreichend auf dein Wohl achten würde, scheint nicht unbegründet. Wie kann es sein, dass du mitten in der Nacht hier herumläufst?«
Noch während er sprach, hatte er seinen Pelz abgenommen und legte ihn um ihre Schultern. Wärme durchflutete sie - nicht nur des Kleidungsstückes wegen, sondern ob seiner Worte. Ihr Vater hatte sie zwar
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