Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
verdammt sein muss, als solcher zu sterben, vor allem nicht, wenn er nicht als solcher geboren wurde, sondern ein Kriegsgefangener ist. Er kann freigelassen werden, er kann es zu Besitz bringen, und er kann ein ehrbarer Mann werden. Auch du könntest das. Wenn ich mich denn dafür einsetze.«
Das hättest du schon längst gekonnt, du Hure, dachte er.
»Und Freiheit ist es doch, was du willst, nicht wahr?«, fuhr sie schmeichelnd fort. »Überdies will ich dir deinen Dienst gerne auch noch mit Gold entlohnen. Wünsch dir einfach, was du willst. Nur töte ... diese Gisla ... und töte sie unauffällig.«
Ihre Worte verhallten; er bemerkte gar nicht, dass sie auf eine Antwort wartete, so versunken war er in seinen Gedanken. Erst als sie ungeduldig fragte, was in seinem Kopf vorging, riss er sich zusammen.
»Wenn ich sie tatsächlich töte ...«, begann er.
»Wer, wenn nicht ich, kann dir zur Freiheit verhelfen? Die Nordmänner haben in den letzten Jahren so viele Menschen versklavt, nicht nur Franken, sondern Angelsachsen und Menschen aus den Gebieten Ostfrankens, nicht nur Bauern, sondern auch Mönche und Soldaten. Und weder König Karl noch Bischof Witto noch Robert von Paris haben auch nur einen Gedanken daran verschwendet, bei Saint-Clair-sur-Epte ihre Freilassung zu erwirken.«
Sie raunte nur, doch ihre Worte klangen in seinen Ohren wie Geschrei.
Seine Kiefer mahlten, als er ihr im Stillen Recht gab. So viele Menschen waren von den Mächtigen des Landes verlassen worden ... verraten ... verkauft ...
»Wenn ich sie tatsächlich töte ...«, setzte er wieder an.
Popas Hand fuhr über seinen Unterarm. »Du kannst dich auf mich verlassen. Wenn ich dir etwas verspreche, dann kannst du dich darauf verlassen. Das weißt du doch.«
Nein, er wusste es nicht. Und nein, er wollte keine Freiheit. Nach allem, was er hatte erdulden müssen, war die Freiheit viel zu wenig, um ihm Genugtuung zu schenken. Er wollte etwas ganz anderes. Doch genau aus diesem Grund stimmten seine Ziele mit Popas überein.
»Rollos Taufe ist für das nächste Osterfest angesetzt«, erklärte er. »Bis dahin wird Prinzessin Gisla schon lange nicht mehr leben.«
Die Andeutung eines Lächelns verzog Popas Gesicht, als sie sich nach ihrer Palla bückte. Ihre Bewegungen wirkten behäbig, ihr Lächeln hingegen machte sie jung. Einst hatte sie wohl so gelächelt, wenn ihr geliebter Vater von der Jagd zurückkehrte, jetzt lächelte sie, da sie den Mord an einer Nebenbuhlerin verlangte.
Nein, er wollte keine Freiheit. Denn es gab keine Freiheit. Nicht für ihn, Taurin. Aber auch nicht für sie, Popa.
Er zögerte, ob er noch etwas sagen oder wortlos gehen sollte, als ihm die Entscheidung abgenommen wurde. Ein Geräusch war erklungen, hörbar nur für einen wie ihn, der ständig auf der Lauer lag und sich nie wirklich entspannen konnte. Es war ein Seufzen, und es kam nicht aus seinem Mund und nicht aus Popas. Er fuhr herum, blickte zur Tür, die einen Spalt weit offen stand, und glaubte, einen Schatten wahrzunehmen.
Popa war seine Anspannung nicht entgangen. »Was ist?«, fragte sie.
»Jemand ... jemand hat uns belauscht.«
Gisla schlug sich die Hand auf den Mund, damit ihr kein weiteres Mal ein verräterischer Laut entfuhr. Doch es war zu spät, um zu verhindern, dass der Mann aus dem Raum trat und sich suchend im Gang umblickte. Bis jetzt hatte sie nur seinen Rücken gesehen, nun wandte er sich in ihre Richtung. Er trug die Tracht der Nordmänner - einen blauen gefibelten Umhang aus Marderpelz, Strümpfe und Beinkleider, an den Füßen festes Schuhwerk. Vor allem aber trug er an seinem Gürtel ein Schwert. Gisla huschte von der Tür weg, presste sich in eine dunkle Ecke und schloss unwillkürlich die Augen, sich dem Trug hingebend, dass niemand sie sehen könnte, wenn sie selbst nichts sah.
Tatsächlich blieb es still. Taurin spähte wohl in den Gang. Nach einer Weile vernahm sie Schritte, leise, weiche Schritte, die direkt auf sie zukamen. Ehe er sie erreichte, wurden die Schritte von der Frauenstimme übertönt.
»Was hast du, Taurin?«, rief jene Popa ungeduldig.
»Nichts«, gab er zurück, und seine Stimme klang zweifelnd, »ich dachte nur, hier wäre jemand ...«
Gisla hielt den Atem an.
Popa hingegen lachte. »Mitten in der Nacht schlafen selbst die tapfersten Krieger.« Sie machte eine Pause, und als sie fortfuhr, klang sie ernst und traurig. »Nur wir beide, Taurin, können wie so oft nicht schlafen. Wir fürchten unsere Träume
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