Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
glaubte sie, nie wieder lachen zu können. Der Mund wurde ihr trocken, als sie sah, wie Taurin erst die beiden Krieger musterte, dann wieder sie. Er zeigte nicht, wessen Anblick ihn mehr verwirrte.
»Gisla?«, fragte er lediglich nachdenklich. »Du bist Gisla?«
Er hielt ihr die Fackel noch näher ans Gesicht, um sie besser sehen zu können, und die Hitze des Feuers schien ihre Haut zu versengen. Kurz war sie überzeugt, er wollte sie schon jetzt töten, indem er sie einfach verbrannte, aber dann zog er die Fackel zurück.
»Du bist tatsächlich Gisla?«, fragte er wieder.
Sie hatte ihren Kopf gesenkt, um sich vor der Hitze zu schützen; nun hob sie ihn, sah ihn an, suchte in seinen Zügen nach etwas, was Hoffnung schenkte. Hoffnung darauf, dass er zu dumm war, die Lage zu durchschauen oder zu mitleidig, um eine Prinzessin zu töten.
»Nein!«, rief sie verzweifelt. »Ich bin nicht Gisla! Ich bin nur die Dienerin der Prinzessin, und ich habe mich verlaufen.«
Faro und Fulrad hatten sich indes wieder aus ihrer Starre gelöst. Die Sorge um die Prinzessin schien größer als die Furcht, enttarnt zu werden - vielleicht war es auch nicht die Sorge, sondern Abenteuerlust.
Verständnislos riefen sie: »Aber Gisla, was redest du denn da?«
Taurin hob erneut seine Fackel, diesmal, um die beiden Männer eingehender zu betrachten. »Und wer seid ihr?«, fragte er und machte einen Schritt auf sie zu.
Obwohl die Bewegung vermeintlich gemächlich ausfiel, entging Gisla seine Anspannung nicht. Nun, da sie nicht länger von der Fackel geblendet war, sah sie das Schwert an seinem Gürtel.
»Bitte geht!«, flehte sie Fulrad und Faro an. »Flieht!«
Er will doch mich, nicht euch, setzte sie im Stillen hinzu.
Ehe die beiden gehorchten, entlud sich ihrer aller Ungeduld in einer raschen Bewegung. Gisla war sich nicht sicher, ob es Taurin war, der als Erster zum Schwert gegriffen hatte oder ob ihn die beiden fränkischen Krieger dazu erst provozierten. Plötzlich hielten alle drei ihre Waffe in der Hand.
Warum darf ein Sklave ein Schwert besitzen?, dachte Gisla noch. Im Frankenreich dürfen nicht einmal Bauern Waffen führen. Und dieser Taurin führt sein Schwert nicht zum ersten Mal.
Ein Klirren ertönte, einmal, zweimal, dann lag Faros Schwert am Boden und das von Taurin war auf dessen Kehle gerichtet.
Auf den raschen Kampf folgte ein Moment der Starre. Gislas Herzschlag schien auszusetzen.
»Wer seid ihr?«, fragte Taurin.
Gisla beteuerte, dass sie nicht Gisla sei. Faro ließ sich vom Schwert an seiner Kehle nicht davon abbringen, zu erklären, die Prinzessin schützen zu müssen. Fulrad hingegen sagte als Einziger nichts. Er machte ein grimmiges Gesicht und hob sein Schwert erneut. Taurin reagierte blitzschnell. Er hob den Fuß und stieß Fulrad gegen das Schienbein, dass dieser taumelte. Faro nutzte diese Regung, um einen Satz zurückzumachen und sich nach seinem Schwert zu bücken. Er hatte sich kaum aufgerichtet und Fulrad kaum die Balance wiedergefunden, als ein Poltern ertönte. Im gleichen Augenblick war der Gang voller Männer, und all diese Männer waren bewaffnet.
Gisla schlug ihre Hände vors Gesicht und duckte sich. Sie sah nicht länger, was geschah, hörte nur ohrenbetäubendes Klirren, das Stöhnen und Keuchen der Kämpfenden. Dann riss der Tumult abrupt ab. Sie wagte nicht, den Kopf zu heben und herauszufinden, wer unterlegen war.
Taurin war es offenbar nicht, denn seine Stimme klang ruhig, als er befahl: »Ihr sagt mir auf der Stelle, was hier vorgeht!«
Nun endlich traute Gisla sich, zwischen ihren Fingern hindurchzulugen. Zwei Schwerter lagen auf dem Boden, die Männer ihres Vaters wurden festgehalten, und Taurin stand drohend vor ihnen.
So ausweglos die Lage für Fulrad und Faro war - für sie war sie das nicht. Niemand achtete auf sie. Wenn sie den Männern ihres Vaters auch nicht helfen konnte - davonlaufen, um die Täuschung zu verbergen, Aegidia zu finden und zu warnen, konnte sie.
Und das tat sie auch.
Gisla wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, aber plötzlich fand sie sich in der Küche wieder. Übermächtig wurde der Drang, sich auf die Bank zu flüchten, die, so hart und verschmutzt sie auch war, doch zum Ausruhen verlockte. Aber sie zwang sich, wieder kehrtzumachen. Sie durfte nicht schlafen - sie musste Aegidia finden!
Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, und die Gefahr, auf Taurin zu stoßen, eigentlich zu groß, es zu wagen, aber da war keine Zeit, um sorgsam abzuwägen, was
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