Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
darum nicht nur Rollo in der Nähe des Bischofs lebt, sondern auch ich. Tja«, sie machte eine bedauernde Geste, »in Rouen ist es eng, das Leben hier ist rau, und die Prinzessin wiederum ist zart.«
Einst war das Leben zu ihr rau gewesen und sie selbst zart, aber - dies musste er ihr zugestehen - sie hatte dem Leben getrotzt und Fleisch angesetzt.
»Warum liegt dir so viel daran, dass Gisla stirbt? Rollo wird dich niemals verstoßen, selbst wenn er die Prinzessin heiratet. Die meisten Nordmänner haben neben ihrer Hauptfrau viele Nebenfrauen, und dass er sich taufen lässt, wird ihn nicht dazu bringen, diese Sitte aufzugeben.«
Eine schmale Falte erschien auf Popas Stirn. »Natürlich würde er mich nicht verstoßen!«, rief sie energisch. »Aber es geht nicht um mich, es geht um meinen Sohn!«
Taurin verstand und nickte nachdenklich. Er hatte ihn nicht oft gesehen, denn Popa hatte den Kleinen einer Amme anvertraut, aber er wusste, dass es diesen Sohn gab und dass sein Name Wilhelm war. Er würde wohl nicht ihr einziges Kind bleiben: Gerüchten zufolge war sie wieder guter Hoffnung. Und Popa war nicht die einzige Frau, die Rollo geschwängert hatte, ob nun mit Gewalt oder ohne.
Als er seinerzeit seine nordische Heimat verlassen und lange Zeit auf den Inseln in der Nähe Englands gelebt hatte, hatte Rollo mehrere keltische Frauen zu seinen Geliebten gemacht. Eine von ihnen hatte eine Tochter namens Kathleen geboren, die hier in Rouen aufwuchs, vom Vater geliebt und sehr verwöhnt. Aber sie war eben nur ein Mädchen - Wilhelm hingegen der bislang einzige Sohn. Und der mögliche Erbe, sofern er nicht zugunsten eines ehelichen Sohnes benachteiligt werden würde.
»Nun gut«, setzte er gedehnt an, »ich verstehe deine ... Sorge. Aber warum hast du ausgerechnet mich für diese Aufgabe ausgewählt?«
»Wie ich schon sagte: Es gibt niemanden, dem ich mehr vertraue. Uns eint das gleiche Schicksal.«
Diesmal konnte er seine Gefühle nicht beherrschen. Unwillkürlich ballte er seine Hände zu Fäusten. Welche Anmaßung, dass sich diese fränkische Hure mit ihm zu vergleichen wagte!
»Gewiss, ich bin die Tochter des Grafen von Bayeux«, fuhr Popa ungeachtet seines Ausbruchs fort, »und dein Vater ist, nach allem, was ich von ihm weiß, nicht annähernd so mächtig. Aber in jedem Fall waren wir einst beide frei. Waren einst beide für ein anderes Leben bestimmt. Und mussten beide damit leben lernen, dass die Welt sich manchmal schnell verändert und in dieser neuen Welt nur überlebt, wer klug, geschickt und wach genug ist, sich darin zurechtzufinden.«
Und skrupellos genug, setzte Taurin im Stillen hinzu.
Dass sie den Grafen von Bayeux erwähnt hatte, hatte ihn beinahe ärgerlich knurren lassen. Er dankte Gott, dass besagter Berengar bei der großen Schlacht um seine Stadt umgekommen war und darum nicht hatte zusehen müssen, wie seine Tochter später bei Rollo nicht nur um ihr Leben flehte, sondern für dieses Leben jeden Preis zu zahlen bereit war.
Popa erhob sich. »Und es gibt noch einen anderen Grund, warum ich dich erwählt habe.« Die Palla glitt zu Boden, doch Popa stieg achtlos darüber hinweg. »Du bist schon so lange ein Sklave der Nordmänner - länger noch als ich. Und du hast nie aufgehört, sie zu hassen. Glaub nicht, dass ich nicht davon weiß. Unmöglich kannst du gutheißen, dass ein Heide aus dem Norden eine fränkische Prinzessin heiratet!«
»Und deshalb soll ich sie töten?«
»Was ist ein armseliges Leben gemessen an der Reinheit der Seele? Denkst du etwa, die Seele der Prinzessin würde nicht verrohen, wenn sie gezwungen ist, an der Seite eines Mannes zu leben, der bislang für sie ein Ungeheuer war?«
Ihre Augen glänzten. Nicht vor Mordlust, wie er zunächst vermutete, sondern vor unterdrückten Tränen. Weil ihre Seele verroht war. Und seine auch.
Taurin ertrug den Anblick nicht länger und schloss die Augen - schutzlos seinen Erinnerungen preisgegeben. So oft überkamen sie ihn, und immer galten sie dem, was er verloren hatte. Immer galten sie ... ihr.
Wie eine Königin überstrahltest du alle mit deinem Glanz. Alle erkannten dich an der Erhabenheit deiner Gestalt.
Er riss die Augen wieder auf. »Und wenn ich es tue ... was bekomme ich dafür?«
Sie hatte sich von ihm abgewandt, sodass er nicht länger ihre feuchten Augen sah. »Du hast dich hochgearbeitet, Taurin, du besitzt Rollos Vertrauen - und bist trotzdem ein Sklave. Die Gesetze des Nordens sehen vor, dass ein Unfreier nicht
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