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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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schmerzhaft, dass ihr die Luft wegblieb. Das Wasser stieg noch höher, irgendwann erstarb der Schmerz. Gisla fühlte gar nichts mehr, war sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch auf schlammigem, steinigem Grund stand. Kopf und Beine schienen nicht mehr zum gleichen Körper zu gehören, doch sie beherrschte ihre Regungen ausreichend, um sich umzudrehen und zum Ufer zu schauen. Dort stoben zwischen den Bäumen nicht länger nur jene dunklen Vögel hervor, die sie angekündigt hatten, sondern die Reiter selbst - von Taurin angeführt, der gekommen war, sie zu töten, und in dessen Augen sie ein Funkeln zu sehen glaubte.
    Runa zerrte Gisla noch tiefer in den Fluss, und diesmal folgte sie ihr willig. Die Hoffnung, dass sie das gegenüberliegende Ufer erreichen könnten, war längst geschwunden, zurückgeblieben aber zumindest der Wunsch, die Art des Todes selbst bestimmen zu können: Lieber war es ihr zu ertrinken, als von einem Schwert getroffen und abgeschlachtet zu werden.
    Noch hatte Taurin das Schwert nicht gezogen. Noch saß er reglos auf dem Pferd, offenbar willens, den Fluss sein Werk verrichten zu lassen. Doch dann - sie hatten schon die Hälfte überwunden und drehten sich eben erneut nach dem Feind um - hob er die Hand und gab seinen Männern einen Befehl.
    Gisla sah fassungslos zu, wie die Männer von ihren Pferden sprangen und nach ihren Bogen griffen, während Runas Griff noch fester wurde und ihr Kampf gegen die Fluten noch energischer. Sie kamen nicht schnell genug voran, weil sie jetzt auch noch knöcheltief im zähen Schlamm steckten. Unmenschliche Kraft hatte es bereits gekostet, bis hierher zu kommen - unmöglich schien es, nun die Füße aus dem klebrigen Braun zu ziehen, während die Strömung an ihnen zerrte.
    Als der Pfeilregen auf sie niederging und sein Zischen sich mit dem Rauschen des Flusses verwob, war Gisla endgültig gewiss, diese Kraft nicht länger aufbringen zu können. Am liebsten hätte sie sich fallen lassen. Runa zerrte sie zwar unerbittlich weiter, und sie kamen dem anderen Flussufer Schritt für Schritt näher, aber sie glaubte nicht, dass sie es erreichen könnten. Schon folgten auf die ersten Pfeile weitere, schon hörte Gisla ein neuerliches Zischen und spürte schließlich einen Schmerz, so brennend, so gewaltig, dass sie nicht wusste, wo sie getroffen worden war - ob am Arm, an der Brust oder am Bein.
    Der Schmerz fraß sie auf, nein, zerfleischte sie wie ein hungriges Tier. Das Tier knurrte, und der Fluss brüllte, ehe er sie noch gieriger als der Schmerz verschlang. Plötzlich war da kein Schmerz mehr, nur Eiseskälte, war da weder Runas zupackende Hand noch Boden unter ihren Füßen, nicht einmal schlammiger - da war gar nichts mehr außer Wasser, kein Oben und kein Unten. Ihre Brust schien zu zerbersten und brachte den sengenden Schmerz zurück. Er war nicht mehr grell wie ein Blitz, sondern schwarz wie die Hölle.
    Und während Gisla mehr und mehr in Schwärze und Eiseskälte versank, fragte sie sich, woran sie starb: Verblutete sie, oder ertrank sie?

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    Ja, Arvid kannte einen Teil der Wahrheit, aber nicht die ganze. Er wusste, dass in seinen Adern das Blut der Nordmänner floss, und haderte damit, weil er Mönch war oder zumindest einer sein wollte, aber er wusste nicht, wer seine Eltern wirklich gewesen waren.
    Die Äbtissin rang nach Worten. Sie hatte ihr Geheimnis all die Jahre gehütet, aber war nie gut im Lügen gewesen, hatte sich vielmehr im rechten Augenblick aufs Schweigen verlegt, um nichts Falsches zu sagen.
    Nun aber sollte sie nicht schweigen. Sie sollte das Entsetzen in seinem Gesicht mindern, ihn irgendwie trösten, verhindern, dass seine Welt zerbarst. Gewiss hatte diese schon Sprünge bekommen, als plötzlich ein Feind in seinem Leben auftauchte und ihm nach diesem trachtete, als er schwer verletzt worden war und sich mit letzter Not hierher retten konnte. Aber noch hatte etwas seine Welt zusammengehalten, noch hatte es eine Ordnung gegeben, an die er sich halten konnte.
    Sie konnte sie ihm weder bewahren noch ihm eine Stütze sein, sah stattdessen in seinen Augen, wie etwas zerbrach. Die Splitter trafen auch ihr Leben, wenngleich es nicht so verwüstet wurde wie seines. Sie wusste es längst und hatte sich seit Ewigkeiten damit abgefunden, dass sie nie wieder geheilt werden würde. Sie wusste es seit ... damals: als ihr das Falsche geschehen war und sie das Richtige getan hatte.
    Das

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