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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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zumindest hatte sie bis eben geglaubt. Nun war sie sich nicht mehr sicher, was falsch und richtig war, und vor allem, ob es überhaupt zählte, so erschüttert wie er war.
    »Ich dachte, du wüsstest auch, dass ... dass nicht sie ... sondern ich ...«
    Die Äbtissin brach ab. Ihre Stimme klang wie die eines Vogels, der aus dem Nest gefallen ist.
    Seine Hand fuhr hoch, umklammerte das Amulett. Auch seine Stimme klang irgendwie hoch, als er nur ein einziges Wort hervorpresste: »Lügen.«
    Die Äbtissin atmete tief durch. »Es war gewiss das Beste für dich«, murmelte sie, noch nicht mit voller Herrschaft über ihre Stimme, aber nicht mehr ganz so kläglich, »vergiss einfach, was ich gesagt habe, denk nicht mehr daran ...«
    Wie lächerlich es war, was sie da sagte! Als wären Worte Unrat, den man beiseitefegen konnte, wenn sie einem nicht gefielen!
    Anstatt noch mehr zu sagen, streckte sie ihre Hand aus und berührte ihn. Sein Entsetzen erschütterte sie, und noch etwas anderes: seine Abscheu.
    Sie kannte diese Abscheu, hatte sie sich selbst oder auch ganz anderen gegenüber erfahren. Doch so vertraut dieses Gefühl auch war - es traf sie unerwartet tief. Und schürte Trotz.
    Sie zog die Hand zurück und dachte jäh: Das verdiene ich nicht.
    Unverständnis, Wut, Verwirrung - ja, das verdiente sie. Auch gerechten Zorn, aufgeregte Fragen, vielleicht den einen oder anderen Vorwurf. Aber nicht Verachtung.
    »Was immer wir taten - wir haben es für dich getan.«
    Kein Zittern war da mehr in ihrer Stimme. Sie sprach mit jenem tiefen, beruhigenden Ton, mit dem es ihr stets gelang, erregte Nonnen zu besänftigen.
    Ihn aber erreichte diese Stimme nicht. Er riss sich von ihr los, drehte sich um und lief auf die Pforte zu.
    »Arvid!«, rief sie, so laut wie sie seit langem niemanden mehr gerufen hatte.
    Und seinen Namen hatte sie seit damals kaum ausgesprochen.
    Er hielt nicht inne. Schon hatte er die Pforte erreicht, schob den Riegel beiseite und öffnete das schwere Tor, um entschlossen hindurchzuschreiten.
    Die Äbtissin ging ihm nach, zunächst so hastig wie er, dann langsamer, als würde sie von einer unsichtbaren Macht gelähmt.
    Die wenigen Male, die sie das vertraute Gemäuer des Klosters verlassen hatte, war sie in Begleitung eines Abts gewesen, und auch nur, um das Nachbarkloster zu besuchen.
    Nach langem Zögern überwand sie das Tor und gleichsam den unsichtbaren Bannkreis zum ersten Mal allein, voller Scheu, voller Angst auch, als ob gleich eine Hand nach ihr griffe und sie aufhielte. Aber niemand stellte sich ihr entgegen, niemand rief ihr mahnende Worte nach, und kaum hatte sie das Kloster verlassen, lief sie leichtfüßig wie ein junges Mädchen. Alsbald keuchte sie ob des ungewohnten Tempos - und er auch. Für gewöhnlich wäre er ihr längst entwischt, aber seine kaum verheilte Wunde setzte ihm zu und zwang ihn endlich, stehen zu bleiben.
    »Ich bitte dich, lass uns reden ...«
    Sie hatte ihn erreicht, wollte erneut nach ihm greifen, zuckte jedoch zurück, als er abwehrend die Hand erhob.
    »Ich bitte dich, lass ...«
    Sie brach ab, sah erst jetzt, dass er den Kopf schief legte und argwöhnisch lauschte. Sie tat es ihm nicht gleich. Die fremde Welt und ihre Geräusche, die vielleicht die eine oder andere Gefahr verkündeten, machten ihr keine Angst - seine Abscheu umso mehr.
    »Nach allem, was du erfahren hast, wirst du mich hassen«, sprach sie eindringlich, »aber bitte, lauf nicht weg! Nur hinter den Klostermauern bist du sicher. Und nur dort kann ich dir erzählen, was damals geschehen ist und was ...«
    »Seid still!«
    Da erst sah sie es - dass in seinem Gesicht nicht länger Abscheu stand, sondern Angst. Tiefe, nackte Todesangst.
    »Er ist in der Nähe ...«, brachte er hervor.
    Nun lauschte sie auch. Nun hörte sie es auch.
    Pferde, die langsam näher kamen.

VI.
    W ESTFRANKENREICH H ERBST 911
    Taurin war bis zu den Knien ins Wasser gewatet und dort stehen geblieben. Er spürte die Kälte nicht sofort, dann aber umso schmerzhafter - die gleiche Kälte, die auch die Frauen hatte erzittern lassen. Wenn sie vom Strom mitgerissen worden waren, waren sie längst erfroren, und wenn nicht erfroren, so ertrunken. Vielleicht hatte sie auch einer der Pfeile getroffen.
    Er erkannte nichts, als er in die graue Wand starrte. Zum sprühenden Dunst, der über dem Fluss hing, gesellten sich Nebelschwaden, die die Welt konturenlos machten. Trotz allem war es möglich, dass sie doch das andere Ufer erreicht

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