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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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den kalten Stein, und einen Moment später war sie umringt von weiteren Männern. Furcht erregend waren sie - und bewaffnet auch.
    Gisla konnte nicht erkennen, ob Runa überhaupt versucht hatte, ihr Messer auf einen von ihnen zu werfen. Sie sah nur, wie sie am Arm gepackt, ihr dieser auf den Rücken gedreht wurde und sie, obwohl sie sich verbissen wehrte, von Gisla weggezerrt wurde.
    Wieder schrie Gisla auf. »Nichts! Tut ihr nichts! Ich bin ...«
    Sie brach ab - gerade noch rechtzeitig, ehe sie sich verriet. Der Hüne ragte vor ihr auf und packte auch sie, wenngleich er sie nicht in die gleiche Richtung zerrte wie Runa. Die, die ihre Waffe erhoben, wurden wohl mit dem Kerker bestraft - sie selbst einfach nur vors Tor gesetzt.
    »Nein!«, rief sie wieder. »Ihr müsst mir zuhören! Ich bin ...«
    Gisla sah Runa nicht mehr, hörte sie auch nicht schreien, und ihr kam ein schrecklicher Gedanke. Wenn die Männer sie nun nicht einfach nur in den Kerker warfen, sondern sie töteten?
    Tränen ließen das Bild vor ihren Augen verschwimmen. Nur vage erkannte sie, dass sie das Tor erreicht hatten, und wappnete sich dagegen, wieder einen schmerzhaften Stoß zu erhalten und zu Boden zu fallen. Doch plötzlich hielt der Hüne inne.
    Der Tumult im Hof war nicht unbemerkt geblieben - nicht nur Männer bevölkerten ihn, sondern auch eine Frau stand auf einmal dort. Gisla sah, dass sie etwas sagte. In ihren Ohren rauschte es zu laut, um es zu verstehen - sie fühlte nur, wie der Hüne sie losließ, diesmal nicht brutal, sondern überaus sanft. Im nächsten Augenblick ruhte ihr Kopf auf der Brust der Frau, und ihr Leib, der so viele Torturen erduldet und so viele Schmerzen durchlitten hatte, fühlte sich weich und wohlig an, als würde er zerfließen. Da gab es nichts Hartes mehr, nichts Kaltes, nichts Raues, nur Schutz und Geborgenheit.
    »Gütiger Gott!«, stieß die Frau aus.
    Gisla brachte nichts über ihre Lippen, wusste nur, dass sie zuhause war, endlich zuhause. Die Frau, die sie vor dem Hünen errettet hatte, war Begga, ihre einstige Amme.
    Ewig hätte sie so stehen bleiben können, ewig sich ausruhen und sich der Gewissheit hingeben, dass alles gut und sie von sämtlicher Last befreit war, dass Begga sich nun um sie kümmern und wissen würde, was zu tun war.
    Sie klammerte sich an Begga, und Begga hielt sie fest - eine Weile lang, dann schob sie sie von sich. Der Hüne war verschwunden, Beggas Blick jedoch schien argwöhnisch, gar ängstlich. Rasch zog sie Gisla mit sich, ging schnellen Schrittes mit gesenktem Haupt, und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. Anstatt das Hauptgebäude mit der großen Halle zu betreten, zog sie sie in eines der Häuser, in denen die Unfreien lebten.
    Gisla lag die Frage, was das zu bedeuten hatte, auf den Lippen - doch noch wollte sie nicht fragen, noch wollte sie nicht verwirrt sein, wollte sich nur der Erleichterung hingeben, wieder zuhause zu sein.
    Im Inneren des Gebäudes war es finster, nur wenige Fackeln aus Birkenrinde spuckten starken Rauch, doch Gisla machte es nichts aus, dass ihr alsbald Kehle und Augen brannten - alles war erträglich, solange sie nicht länger im Freien leben musste, sondern endlich wieder unter einem schützenden Dach Zuflucht nehmen konnte.
    Begga zog sie weiter mit sich. Schließlich widersetzte sich Gisla, nicht heftig, aber deutlich genug, dass Begga sie losließ.
    »Mutter ... wo ist Mutter? Du bringst mich doch zu ihr?«, fragte sie.
    Begga ließ ihren Kopf noch tiefer sinken; das Kinn schien in ihrer Brust zu versinken.
    »Deine Mutter hat Laon verlassen«, murmelte sie. »Sie ... sie konnte nicht länger warten und ist ins Kloster nach Chelles aufgebrochen.«
    Gisla war verwirrt. Gewiss, Fredegard hatte beschlossen, dass sie sich gleich nach ihrer Rückkehr in ein Kloster zurückziehen würden - nie war jedoch die Rede davon gewesen, dass Fredegard ohne sie aufbrach.
    »Aber was sollen wir jetzt tun? Begga ... ach, Begga ...« So viele Worte drängten über ihre Lippen. Endlich wollte sie sich alles von der Seele reden, von ihren Leiden berichten, von der aufreibenden Flucht, von ihrer Verletzung, aber Begga machte es ihr schwer, so gekrümmt wie sie dastand, so verlegen wie ihr Blick wirkte, und schließlich begnügte sich Gisla damit, das Wichtigste zu sagen: »Die Frau, mit der ich gekommen bin ... sie ... sie wurde von den Männer fortgebracht, ich weiß nicht, wohin, vielleicht in den Kerker. Du musst dafür sorgen, dass sie befreit wird. Sie hat

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