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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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so köstliche Essen wie ein Stein in Gislas Magen. Sie trat zur Schlafstatt, ließ sich niedersinken und strich über das weiche, saubere Leinen, doch trotz der Wohltat, die sie dabei empfand, wuchs die Übelkeit, und ihr Kopf fühlte sich an, als müsste er zerspringen. Sie fror und zog die Decke über sich, strich über ihre Stirn, nass und kalt vom Schweiß, von dem sie nicht wusste, woher er rührte, von der Entkräftung oder der Verletzung. Die Müdigkeit schwand, die Unruhe jedoch wuchs - die gleiche Unruhe, die sie in Rouen, im Wald, im Fluss und auf dem Weg nach Laon gefühlt hatte.
    Irgendetwas war anders - und das lag nicht nur daran, dass ihre Eltern nicht da waren, dass sie in einem fremden Gebäude schlief und dass Begga ihr nicht in die Augen sehen konnte. Es lag daran, dass sie sich selbst verändert hatte seit jener Nacht in Rouen, als sie ihre Schlafstatt verlassen, den Abort gesucht, Popa und Taurin belauscht und Aegidia zu warnen versucht hatte. Gewiss, sie hatte kopflos gehandelt, war im Kerker gelandet und wäre ohne Runa noch immer dort - aber zumindest hatte sie etwas getan und nicht einfach nur gewartet.
    Auch jetzt konnte sie nicht warten. Gisla schlug die Decke zurück, stand auf, schlüpfte in die Schuhe, die Begga ihr gegeben hatte, und warf sich den Umhang über, der für den kommenden Morgen für sie bereitlag, dann lugte sie in den Gang. Er war menschenleer. Langsam, aber entschlossen, ging sie ihn entlang und stieß schließlich auf eine Tür. Sie hatte keine Ahnung, was sie dahinter erwartete und wonach genau sie suchte. Vor allem wusste sie nicht, woher das wachsende Unbehagen rührte, das sie empfand - noch nicht.
    Dann hörte sie auf einmal Beggas Stimme, laut und klar. »Sie schläft jetzt. Und sie vertraut mir.«
    Und eine andere Stimme antwortete: »Gut so. Wiege sie weiterhin in Sicherheit. Und sag keiner Menschenseele, dass sie hier ist.«
    Gisla erkannte die Stimme sofort. Sie hatte sie nicht oft gehört, aber dieser leicht näselnde Tonfall war ihr gut in Erinnerung geblieben. Begga sprach mit Hagano, ihres Vaters Günstling - daran bestand kein Zweifel -, und sie sprachen über sie, Gisla, obwohl Begga eben noch bekräftigt hatte, dass Hagano nichts von ihrer Anwesenheit erfahren dürfte.
    Endlich begriff Gisla, warum Begga ihrem Blick ausgewichen war und sie im Nebengebäude versteckt hatte, und presste ihre Hand auf den Mund, um nicht aufzuschreien. Beggas Verrat traf sie ähnlich schmerzhaft wie der Pfeil von Taurins Männern sie getroffen hatte, nein, schmerzhafter noch - nicht nur ins Bein, sondern mitten ins Herz.
    »Du hast alles richtig gemacht«, erklärte Hagano eben. »Es war gut, dass du zu mir gekommen bist.«
    »Ich habe ihr gesagt, dass wir uns an den Bischof von Reims wenden sollten.« Beggas Stimme hatte etwas Flehentliches. Was immer sie dazu veranlasst hatte - der Verrat an Gisla schien auch ihr das Herz zu brechen. Doch das machte das Brennen in Gislas Brust nicht erträglicher.
    »Der Bischof von Reims ist ein guter Mann«, meinte Hagano, »wir wollen ihm doch keine unnötigen Sorgen machen, nicht wahr? Es gibt genügend andere Dinge, um die er sich kümmern muss.«
    »Aber ...«
    »Wie viele Menschen wissen, dass Gisla hier ist?«
    »Einige der Wachmänner haben sie gesehen, aber ich denke nicht, dass sie sie erkannt haben. In ihrer Gegenwart habe ich sie nicht beim Namen gerufen. Und da ist diese Frau, mit der sie hergekommen ist ...«
    Gisla schlug das Herz bis zum Hals. Die frische, saubere Kleidung, die sie angelegt hatte und die eben noch größte Wohltat gewesen war, lastete drückend schwer auf ihrem Leib, als wäre sie nicht aus Leinen, sondern aus Stein.
    »Diese Frau scheint keine Fränkin zu sein«, fuhr Begga fort, »sie hat sich offenbar mit den Wachen angelegt und ist im Kerker gelandet.«
    »Wo sie verrotten soll. Wobei mir eigentlich noch lieber wäre, sie würde ganz aus dieser Welt verschwinden.«
    Ein entsetzter Aufschrei ertönte - und kurz hatte Gisla Angst, sie hätte selbst die Beherrschung verloren. Doch dann erkannte sie, dass es Begga gewesen war.
    Schockiert rief die Amme aus: »Aber ihr könnt doch nicht ...«
    »Es geht hier um so viel mehr als um ein Menschenleben, gute Begga«, schmeichelte Hagano jetzt so leise, dass Gisla ihn kaum verstehen konnte. »Es geht hier um den Frieden mit den Nordmännern - der wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass der König Lothringen bekommt. Du willst doch deinem König nicht

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