Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
hineinzuschütten, ganz gleich, wie brühend heiß er war und ob es schmeckte oder nicht.
Die Bäuerin las die nackte Gier in diesem Blick. Immer noch schweigend füllte sie zwei Holzschalen, reichte eine Runa, eine Gisla, und löffelte den Rest selbst aus dem Kessel. Sie aß hastig wie die beiden jungen Frauen - der gemeinsame Hunger und das gemeinsame Essen einten sie mehr als jedes weitere Wort. Als Runa später ihren Blick von der leeren Holzschüssel hob - es war ein Eintopf aus Saubohnen und Erbsen gewesen - und die Frau musterte, wirkte sie so vertraut, als hätten sie schon viele Tage mit ihr verbracht und viele Nächte nebeneinander geschlafen.
»Lebst du allein hier?«, fragte sie.
Zum ersten Mal benutzte sie die fränkische Sprache gegenüber einem anderen Menschen als Gisla. Die Worte kamen ihr unerwartet leicht von den Lippen, und die Bäuerin schien sie zu verstehen.
Kurz zögerte die Frau zu antworten, sie schien des Sprechens entwöhnt zu sein, aber schließlich murmelte sie: »Nein, ich habe einen Mann. Aber der ist unterwegs. Ist ins nächste Dorf gegangen, um Salz und einen Balken Hartholz zu holen.«
Sie senkte rasch wieder ihren Kopf, und Runa fragte nicht weiter. Jetzt, da der ärgste Hunger gestillt war, konnte sie sich in Ruhe umsehen: Das Haus war finster und raucherfüllt, aber die Wände so dick, dass kein Wind hindurchpfeifen konnte. Es gab einen Tisch und zwei Bänke, und an kleinen Haken hingen Gerätschaften zum Kochen, Säen und Ernten. Nicht weit vom Feuer befand sich eine Lagerstätte, gleich gegenüber stand ein würfelförmiges Gebilde aus Stein errichtet. Noch war die winzige Luke verschlossen, aber die Bäuerin stand auf, öffnete sie und holte einen Laib Brot heraus.
Runa unterdrückte ein Juchzen. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass sie noch mehr zu essen bekamen und obendrein ein Stück Brot. Wieder fiel es schwer, die Gier zu bezwingen, der Bäuerin den Laib nicht augenblicklich aus der Hand zu reißen, um ihn allein zu verschlingen, sondern zu warten, bis diese das Brot - eigentlich mehr ein Fladen als ein Laib - in Stücke brach. Sie schlang ihres ebenso rasch hinunter wie den Eintopf. Die Körner waren grob gemahlen, und jeder Bissen schmeckte nach Asche, die man unter Kleie, Gerste oder Hafer mischte, aber Runa konnte sich nicht erinnern, wann sie je Köstlicheres gegessen hatte.
»Als die Nordmänner ins Land kamen, sind alle anderen geflohen - nur wir nicht«, berichtete die Frau jetzt. »Natürlich hatten wir Angst, dass die Nordmänner unser Haus niederbrennen und das Feld verwüsten könnten, aber selbst wenn das geschehen wäre - ein Haus kann man wieder aufbauen und ein Feld wieder neu beackern. Also sind wir geblieben, und unser Gehöft wurde nie niedergebrannt. Den Grafen, dem wir Abgaben zahlten, gibt es nicht mehr; sein Besitz ist nun in der Hand eines Nordmannes. Der nimmt nicht mehr Abgaben als christliche Herren, und die Ernte ist zwar nicht überreichlich ausgefallen, aber mit viel Glück werden wir es über den Winter schaffen.« Sie sprach bestimmt, doch ihr Blick blieb ängstlich, und ihre Hände zitterten, und ehe Runa oder Gisla etwas einwerfen konnten, fuhr die Frau fort: »Ich glaube, unsereins hat es gut mit einem wie Rollo getroffen. Es gibt so viele Räuberbanden, die sich hier herumtreiben, er aber lässt sie alle verfolgen und ihnen den Garaus machen.« Genugtuung blitzte in ihrem Blick auf, dann wurde sie wieder ernst. »Er gibt seinen Männern das Land als Lehen, doch nur zu der Bedingung, dass sie dort für Gerechtigkeit sorgen. Die Gesetze, die er verkündet, gelten für alle gleichermaßen, für Franken und Nordmänner. Und mein Mann hat erzählt, dass er auch Brücken bauen und Wälder roden lässt.«
Obwohl ihre Worte großen Respekt verhießen, zog Runa den Kopf ein, und obwohl sie zum ersten Mal seit langem satt war und es warm hatte, verspürte sie wieder dieses unangenehme Kribbeln. Diesmal saß es nicht im Nacken, sondern im Magen und schien dort Knoten zu schlingen. Von Unruhe gepackt sprang sie auf. So dankbar Runa war, ihren Hunger gestillt zu haben, wollte sie auf die Wärme gern verzichten, wollte lieber den beißenden Wind fühlen als das Kribbeln.
Sie hatte die Tür noch nicht erreicht, als sich auch die Bäuerin erhob und auf die Schlafstätte deutete, auf der Strohsäcke und Felle lagen.
»Ihr könnt gerne bei mir schlafen ... dann bin ich nicht so einsam«, sagte sie.
Runa blieb zögernd stehen, doch
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