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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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willkommen war. Man war ihm feindlich gesinnt, und er musste mittlerweile ernsthaft befürchten, von den von Sandstedts vertrieben zu werden. Doch sein eigenes Dorf war zerstört, und weltliche Habseligkeiten besaß er keine. Wohin hätte er also gehen können?
    Als er vor vielen Wochen Besuch von Godeke bekommen hatte, war er sich sicher gewesen, dass dies ein Zeichen Gottes war – es konnte einfach kein bloßer Zufall sein. Jahrelang hatte er Walther für tot gehalten, und plötzlich erfuhr er, dass sein Mündel lebte und es in Hamburg zu Wohlstand gebracht hatte. Seitdem hatte er nur noch ein Ziel vor Augen gehabt: Auch er wollte fortan sein Leben in Hamburg verbringen, zusammen mit Walther und seiner Familie in dem behaglichen Kaufmannshaus, welches Godeke beschrieben hatte.
    Doch sein Plan schien nicht ganz aufzugehen. Walther war nicht mehr der kleine fügsame Junge, der Sandstedt vor über zwanzig Jahren verlassen hatte. Aus ihm war ein Mann geworden – und dieser Mann war Everards Feind.
    Es war eine Notwendigkeit geworden, sich eine List zu erdenken, die er als Waffe gegen sein einstiges Mündel verwenden konnte, sollte dieses tatsächlich eines Tages gegen ihn aufbegehren. Und so begann der Priester die Bewohner des Hauses in der Reichenstraße zu beobachten. Er hielt Ausschau nach Gottlosigkeiten – Worten und Taten, die er für seine Zwecke benutzen konnte –, und er wurde fündig! Anfänglich waren es Nichtigkeiten, die er entdeckte, doch je genauer er hinsah, desto mehr Frevel bemerkte sein wachsames Auge. Walther selbst schien nichts aufzufallen, vielleicht war sein Blick bereits verschleiert. In diesem Haus wohnte die Sünde, und Gott hatte ihn geschickt, um sie zu bekämpfen, dessen war sich Vater Everard gewiss.
    Eines Tages kam ihm die Idee, sich der stummen Magd Johanna zu bedienen, denn sie war die Einzige, die sein Vorhaben nicht verraten konnte. Gott in seiner unendlichen Weisheit musste sie ihm zur Seite gestellt haben. Dieses Weib mochte ein nicht enden wollender Quell nützlichen Wissens für ihn sein!
    Um sie gefügig zu machen, fing er an, ihr zu schmeicheln. Sie sei die einzige Frau im Hause, die sich züchtig und sittsam verhalte, weshalb Gott von ihr verlange, dass sie die Missetaten, die sie beobachtete, an ihn, seinen Diener, weitergab.
    Der Plan des Priesters ging auf, denn nur wenig später zeigte ihm die Magd einen grünen Tropfen auf ihrem Leinenärmel. Mit ausladenden Gesten erklärte ihm die Stumme, dass Ava ein ketzerischer Kräutertrunk verabreicht worden sei. Dies allein hätte Vater Everard schon gereicht, doch die Magd beobachtete weiter für ihn und deckte geschwind eine neue Sünde auf.
    In einem unbeobachteten Moment führte sie ihn in die Kammer hinter der Küche, wo sie ihm, versteckt hinter einem Haufen von Äpfeln, einen tönernen Tiegel mit einer Paste zeigte. Welch ein Teufelswerk! Noch am selben Tage überzeugte er sich mit eigenen Augen von dem Ausschlag an Freyjas Armen und sprach daraufhin die ganze Nacht Gebete.
    Dieses Haus war die Pforte zur Hölle, und er war allein mit seinem heiligen Kreuz als bloße Klinge. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr, warum er hier war. Gott hatte ihn gesandt, um die schandvollen Seelen in die Verdammung zu treiben und die Einsichtigen dem Licht zuzuführen. Es galt nur noch, den richtigen Moment abzuwarten, um die Wahrheit zu offenbaren. Dann aber würde Gottes Wort aus seinem Munde fließen, auf dass er die Hexe Runa vor allen Leuten anklagte. Mochte die Sünderin auf dem Scheiterhaufen brennen!

17
    Mit einem lauten Scheppern ging der silberne Kerzenleuchter zu Boden. Graf Johann II. hatte ihn nach seinem Minnesänger geworfen, der gerade noch rechtzeitig in Deckung gehen konnte.
    »Das nennst du Gesang, du Sohn eines räudigen Hundes? Mein Furz klingt lieblicher als deine Minne. Hinfort mit dir, sonst lasse ich dir die Zunge mit einer glühenden Zange herausreißen!«, schrie der Graf so laut, dass sich seine Stimme überschlug. Dann ließ er sich schwer auf seinen gepolsterten Stuhl am Kopfende der langen Tafel fallen. Hier saß er immerzu – seit dem Unfall jedenfalls, der ihn ein Auge gekostet hatte.
    Was war nur aus ihm geworden?, dachte er bei sich und ließ seinen Kopf auf die Brust sinken. Der einst so stolze Graf gab ein geradezu jämmerliches Bild ab. Vorbei waren die Tage, an denen er hoch zu Ross durch die Wälder gezogen war, um einen Eber zu erlegen oder seinen Falken fliegen zu lassen. Vorbei die Tage, an

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