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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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denen es heiter im großen Saal seiner Residenz auf der Burg Kiel zugegangen war. Die Schmerzen hatten ihn vorzeitig zu einem alten, verbitterten Mann werden lassen, dem das Lachen gründlich vergangen war und der mit seinem Schicksal haderte. Nichts konnte ihm mehr Freude bereiten, weder die Weiber noch der Wein. Selbst die überaus qualvolle Hinrichtung des Hofnarren, der Schuld am Verlust seines Auges trug, hatte ihn nicht milde stimmen können. Einzig der Gesang ließ ihn vergessen – allerdings nur, wenn es ein fähiger Spielmann war, der sein Können zum Besten gab.
    Je mehr Zeit verging, desto sicherer war er sich, dass sein blinder Vetter Gerhard II. etwas mit diesem Anschlag zu tun haben musste. Konnte es tatsächlich ein Zufall sein, dass zwei Mitglieder einer gräflichen Familie erblindeten? Hatte nicht Gott selbst seine Sippe erwählt, um über die niederen Stände zu herrschen? Das ergab einfach keinen Sinn. Nein, Gerhard II. musste den Anschlag geplant haben – ein Gedanke, der Johann II. ein ums andere Mal bitter machte. Er war kein kampfeslustiger Herrscher, keiner, der gerne Blut fließen sah. Er war nicht wie sein Vetter, der die Gelegenheit zu einer Schlacht nie ungenutzt verstreichen ließ – er wünschte sich Ruhe und Frieden.
    Das Fest auf dem Kunzenhof war eine willkommene Gelegenheit gewesen, um seinen machthungrigen Vettern aufzuzeigen, dass er bereit war, friedlich neben ihnen zu regieren, sofern er die Anteile erhielt, die ihm seit der Geburt zustanden. Doch heute, viele Wochen nach dem Anschlag, erschien ihm eine Fehde unumgänglich. Sobald er genesen war, wollte er sich an seinem Peiniger rächen.
    Doch die Heilung seiner Augenhöhle wollte einfach nicht voranschreiten, sogar des Nachts quälte sie ihn und hielt ihn vom Schlafen ab. Albträume verfolgten ihn und ließen ihn auch bei Tage nicht zur Ruhe kommen. Sein eigener Anblick erschreckte ihn jedes Mal fast zu Tode. Aus diesem Grunde hatte er bereits alles aus der Burg entfernen lassen, in dem er sich spiegeln konnte: Es gab keine silbernen Fleischplatten mehr, und nirgendwo in der Burg befand sich noch ein einziger Spiegel, außer in der Kemenate seiner Gemahlin. Der Graf selbst aß nur noch mit den Fingern, um nicht zufällig in seines Messers Schneide zu blicken. Trotzdem gelang es ihm nicht, an etwas anderes zu denken als an das dunkle Loch in seinem Gesicht.
    Selbst sein eigenes Weib schien ihm nicht länger zugetan. Auch wenn sie ihn stets davon zu überzeugen versuchte, dass sie ihn immer noch genauso liebte wie zuvor, konnte er in ihren Augen sehen, dass sie ihm etwas vormachte. Immer dann, wenn es zum Beischlaf kam, drehte sie den Kopf zur Seite. Er konnte es ihr nicht einmal verdenken, schließlich sah er wirklich zum Fürchten aus.
    Bei diesem Gedanken warf er seiner Frau einen argwöhnischen Blick zu. Sie schaute unschuldig und ein wenig gelangweilt drein. Er wusste, dass sie das öde Leben auf der Burg nicht mochte, und noch weniger mochte sie die Saufgelage seiner Vasallen. Ihm zuliebe saß sie jedoch stets an seiner Seite, bis der letzte von ihnen besoffen von seiner Bank kippte.
    In seinem Gram der letzten Wochen war Johann II. bereits der Gedanke gekommen, ob sie vielleicht etwas mit dem Anschlag auf sein Auge zu tun haben konnte, doch hatte er den Gedanken schnell wieder verworfen. Margarete von Dänemark war ein frommes Weib mit gütigem Herzen. Obwohl man sie beide damals vor dreizehn Jahren wie alle Adeligen des Landes aus rein politischen Gründen miteinander vermählt hatte, hörte er sie nie darüber klagen. Ganz im Gegenteil, sie hatte stets versucht ihm zu gefallen, indem sie sich überaus tugendhaft und zurückhaltend verhielt, obwohl sie von weit edlerem Geblüt war als er selbst. Allein das verdiente seine Ergebenheit.
    Margarete war nicht sonderlich schön, eher von gewöhnlichem Aussehen, aber sie war klug, und anders als die meisten Männer schätzte er genau das an ihr. Viele Abende schon hatten sie damit verbracht, gemeinsam am Schachbrett zu sitzen. Nicht selten ging sie als Gewinnerin hervor. Nein, dachte Johann, Margarete hatte ganz sicher nichts mit dem Verlust seines Auges zu tun.
    Als einer seiner Diener mit einem Krug auf ihn zugeeilt kam, winkte er ihn fort. Seit Wochen ging das nun schon so. Abend für Abend soff er sich fast besinnungslos, um den Schmerz in seinem Gesicht zu betäuben, doch wenn er irgendwann wieder zu Kräften kommen wollte, sollte er einen klaren Kopf bewahren.

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