Tochter des Ratsherrn
Betrügers um Gnade für ebendiesen ersuchen wollten. Sie hätten vielmehr zu befürchten, selbst ihre Köpfe zu verlieren. Nein, es wäre durchaus ratsamer, Plön in dieser Zeit fernzubleiben, was Walther auch sogleich bestätigte.
»Das wäre sinnlos und gefährlich«, sagte er. »Wir werden einen Boten schicken, der einen Brief überbringt – genau so, wie wir es besprochen haben. Außerdem ist es ein zu großes Wagnis, allein zu reisen. Niemand würde sich uns dieser Tage anschließen.« Walther sah Godeke noch einmal fest an und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Godeke, jetzt gibt es nur noch uns beide. Wir dürfen einfach nicht scheitern, sonst wird es unseren Lieben bald schlimm ergehen.«
Die Feindseligkeit der Hamburger gegen die von Holdenstedes war nicht mehr zu leugnen. Wo immer ein Mitglied der Familie auftauchte, wandte man sich im besten Falle einfach von ihm ab. Im schlimmsten Falle jedoch schleuderte man ihm wüste Beschimpfungen entgegen, und an manchen Tagen war es gar so schlimm, dass nicht einmal mehr die Mägde das Haus verlassen mochten.
Die Hamburger waren an ihrem wundesten Punkt getroffen: Alberts und Thiderichs Handeln kam einem Verrat an der Freiheit der Stadt gleich, um die sie so erbittert kämpften, und Verrat verdiente keine Milde.
Es erwies sich als Segen, dass die Häuser Alberts und Walthers so dicht beieinanderlagen. Im Schutze der Dunkelheit schlichen die Frauen zwischen den Häusern hin und her, um feindseligen Blicken zu entgehen. Die Welt um sie herum wurde zusehends kleiner, bis sie nur noch aus den beiden Kaufmannshäusern und ihren Hinterhöfen bestand. Es konnte sogar passieren, dass sie mehrere Tage zusammen in einem Haus verbrachten, ohne auch nur einmal aus dem Fenster zu schauen. Das enge Beisammensein spendete ebenso Trost, wie es an den Nerven zerrte. Wenn eine von ihnen schwach zu werden drohte, versuchten sie sich gegenseitig aufzuheitern, doch die Eintönigkeit der häuslichen Arbeiten ließ kaum Abwechslung zu.
Aber nicht immer konnten sie sich im Haus verstecken. Die Gänge zur Kirche waren für jedermann Pflicht und wurden für die Geächteten zu einer regelrechten Qual. Nur zu gerne hätten sie auf die Gottesdienste und Beichten in St. Petri verzichtet, doch das wäre ihren Feinden eine willkommene Gelegenheit gewesen – mit möglicherweise schlimmen Folgen.
Schließlich war es Ragnhild, die auf eine Lösung des Problems kam, und obwohl Albert Walther vor seiner Abreise ins Einlager zu ihrem Vormund erklärt hatte, dachte sie gar nicht daran, ihn vor der Verkündung ihres Vorschlages um Erlaubnis zu fragen.
Wie so oft in letzter Zeit saßen sie alle zusammen in der großen Stube von Ragnhilds und Alberts Kaufmannshaus zusammen. Walther und Godeke nahmen die Plätze an Kopf und Fuß der Tafel ein, während Vater Everard, Ava, Runa und Margareta die Bank auf der einen Seite besetzten. Die Mägde und die Kinder saßen ihnen gegenüber. Niemand sprach ein Wort oder hob den Blick, alle kauten, schlürften oder schmatzten vor sich hin, nachdem Vater Everard vor der Mahlzeit ein inbrünstiges Gebet gesprochen hatte.
»Ich möchte gern einen Vorschlag machen«, unterbrach Ragnhild überraschend die Stille. Ein jeder hielt inne und schaute auf. Als sie sich der Aufmerksamkeit aller am Tisch Sitzenden gewiss war, fuhr sie fort: »Jeder von euch weiß, wie es zurzeit um das Ansehen unserer Familie bestellt ist. Wir sind in Gefahr. Ich fürchte mittlerweile um die Sicherheit meiner Töchter und meiner Enkel. Ja, ich fürchte sogar um die Sicherheit meiner Mägde.« Sie richtete die Augen auf Walther. »Auch wenn es derzeit eigentlich Walther oder Godeke obliegt, sich um das Wohl der Familie zu sorgen, bin dennoch ich die Herrin dieses Hauses. Es käme mir gelegen, wenn wir uns eine Zeit lang keiner unnötigen Gefahr mehr aussetzen würden – jedenfalls so lange nicht, bis die Lage sich wieder beruhigt.« Nun wandte sie sich direkt an den Geistlichen. »Vater Everard, wäre es nicht möglich, dass Ihr uns die Beichte abnehmt? So müssten wir nicht mehr so häufig hinaus. Ich könnte mir niemanden vorstellen, der dafür besser geeignet wäre – nun, da auch Ihr zur Familie gehört.«
Runa klappte der Mund auf. Sie konnte und wollte nicht begreifen, was ihre Mutter gerade von sich gegeben hatte. Dieser Vorschlag war das Furchterregendste, was ihr seit den Schmähungen ihres Vaters zu Ohren gekommen war. War es denn nicht schon schlimm genug, dass dieser ewig
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