Tochter des Ratsherrn
aufzuregen. »Wo ist eigentlich der Kater? Ich habe ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen.«
»Poppo? Hmm … seltsam … du hast recht«, bestätigte Ava. »So lange ist er doch sonst niemals fort.«
»Ach was, der wird schon wieder auftauchen, wenn ihm der Magen knurrt«, winkte Marga ab. »Ihr macht ihn weich mit eurem Verhalten. Es gibt sicher keinen Kater in der Stadt, der so verzogen ist wie Poppo. Wenn ihr ihn weiterhin derart bemuttert, wird er sich eines Tages weigern, Mäuse zu fangen, und sich stattdessen an den gedeckten Tisch setzen.«
Wider Erwarten mussten die Frauen über Margas Schimpfen lachen. Die genügsame Magd hatte es nie verstanden, wie man einen Kater so über alle Maßen verhätscheln konnte, und regte sich regelmäßig darüber auf, dass er stets etwas von den Vorräten zugesteckt bekam.
Plötzlich horchte Runa auf. »Habt ihr das auch gehört? Ich glaube, es ist jemand an der Tür.«
»Das kann doch gar nicht sein. Es ist schon spät. Bloß der Nachtwächter läuft noch durch die Straßen«, sagte Ava, ohne von ihrer Handarbeit aufzublicken.
Ragnhild schenkte den Worten ihrer Schwiegertochter keine Beachtung. Allein die Möglichkeit, dass Runa recht haben könnte, ließ ihr Herz höher schlagen – schließlich erwartete sie etwas! Entschlossen stand sie auf und ging hinaus in die Diele. »Ich werde mal nachsehen.« Nur wenig später kam sie zurück – mit der ehemaligen Nachbarsmagd Ella und einem Brief in der Hand. »Du hast gute Ohren, meine Tochter.«
»Ella?«, fragte Marga verwundert beim Anblick ihrer besten Freundin. »Was tust du denn hier?« Die beiden Frauen hatten sich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Seit Ella mit ihrer Herrin aus der Stadt ins ländliche Kirchspiel Eppendorf gezogen war, begegneten sie sich nicht mehr so häufig wie früher, da sie noch nebeneinander gewohnt hatten.
Ragnhild wirkte mit einem Mal ganz aufgeregt. »Ella hat uns einen Brief von Hildegard von Horborg gebracht. Ich hatte ihn, ehrlich gesagt, schon sehnsüchtig erwartet.« Sogleich brach Ragnhild das Siegelwachs und begann zu lesen.
Liebe Ragnhild, ich schicke dir und deiner ganzen Familie meine besten Wünsche und hoffe, dass du meinen Brief schnell erhältst. Trotz der Gefahren habe ich dir meine Ella als Botin geschickt. Nur ihr kann ich vertrauen, und nur sie ist gewitzt genug, um die Tücken der Reise von Eppendorf nach Hamburg als allein reisende Frau unbeschadet zu überstehen. Dein Brief hat mich tief erschüttert und versetzt mich in große Sorge um euch. Auch wenn ich stets in dem Glauben gelebt habe, über ein weit verzweigtes und zuverlässiges Botennetz zu verfügen, muss ich gestehen, dass ich noch keine Kunde über das Einlager Alberts erhalten habe. Auch von der furchtbar traurigen Auflösung der Verlobung wusste ich noch nichts. Ich umarme Margareta tröstend aus der Ferne. Doch wie du selbst schon in deinem Brief sagtest, bleibt uns keine Zeit für lange Reden, weshalb ich sogleich zu deiner Bitte komme. Natürlich seid ihr mir alle herzlich willkommen in meinem Haus, liebe Freundin. Zögert nicht länger, und brecht schnellstmöglich auf. Hier werdet ihr in Sicherheit sein, bis der Zorn der törichten Hamburger sich wieder gelegt hat.
In Liebe und Sorge
Hildegard von Horborg
Nachdem Ragnhild geendet hatte, war es still in der Küche. Ella hatte sich zu ihrer Freundin Marga gesetzt, die die ehemalige Nachbarin innig an sich drückte. Erst dann ergriff Runa das Wort.
»Was hat das alles zu bedeuten, Mutter? Willst du uns nicht aufklären?«
»Ganz einfach, mein Kind. Wir werden eine Weile zu Hildegard aufs Land ziehen. Ich brauche dir wohl kaum zu erklären, dass wir hier nicht mehr sicher sind. Eppendorf ist ein angenehmer, ruhiger Ort für deine Niederkunft, und eine Hebamme wird es dort auch geben. Ich fürchte nämlich, dass uns keine Hebamme aus der Stadt bei deiner Geburt zur Seite stehen wird. Auch einen Priester, der dein Ungeborenes tauft, finden wir dort mit Sicherheit, denn ich habe nicht vor, Vater Everard in unsere Pläne einzuweihen – auch wenn wir auf der Reise von Hamburg nach Eppendorf wahrscheinlich wieder unzählige Sünden begehen werden, die es hinterher zu beichten gilt.«
Dieses Mal stießen sich die Frauen nicht an Ragnhilds Spott, zu sehr beschäftigte sie das, was sie gerade gesagt hatte. Allein Ella schaute etwas verblüfft angesichts der blasphemischen Aussage, die niemanden außer ihr zu erschrecken schien.
Genau wie Runa
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