Tochter des Ratsherrn
Grafen eingebracht. Zwar hat er daraufhin nicht mit meinem Vater gebrochen, aber ich gehe davon aus, dass er gut auf einen weiteren Ritter unserer Sippe verzichten kann. Mein streitbarer Anverwandter hat Glück, dass er noch immer im Dienste des Herzogs steht.«
Ausdruckslos erwiderte Albert: »Ihr mögt recht haben mit Eurer Annahme. Ein Ribe ist offensichtlich tatsächlich genug für jeden Herrn. Der Herzog muss das Gesetz der Nächstenliebe wahrlich ernst nehmen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum man die Familie eines Verbrechers schützt.«
Eccard Ribe schaute seinen Gast einen Moment lang mit einem nicht zu deutenden Blick an. Dann fragte er plötzlich: »Seid Ihr des Schachspiels mächtig?«
Albert war kurzzeitig verwirrt ob des schnellen Gesprächswechsels, dann aber antwortete er: »Da muss ich Euch leider enttäuschen. Ich habe noch nie Schach gespielt und nicht die geringste Ahnung davon.«
»Das enttäuscht mich nicht. Ich wäre aber sehr wohl enttäuscht, wenn Ihr mir verwehren würdet, Euch darin zu unterrichten.«
Der Blick des Ritters bekam mit einem Male etwas so Jungenhaftes, dass Albert plötzlich daran erinnert wurde, dass die beiden Männer bestimmt zwanzig Jahre trennten.
»Nehmt es mir nicht übel, Kaufmann, aber wie ich meinen Herrn, Graf Gerhard II., kenne, dürftet Ihr wohl noch ein paar Tage länger hier auf der Burg weilen. Ich sage Euch, das Schachspiel ist eine wunderbare Waffe gegen Einsamkeit und Langeweile.«
Albert wollte zunächst ablehnen. Er hatte nichts übrig für Spiele, doch er konnte nicht leugnen, dass der Ritter recht hatte. Die Langeweile konnte einem schier den Verstand rauben, und Alberts Aussichten auf Abwechslung standen schlecht.
Nur wenig später saßen die Männer sich am Kamin gegenüber. Beide hatten ihr Kinn in die Hände gestützt und starrten unentwegt auf das kunstvoll gearbeitete schwarz-weiße Schachbrett.
Eine ganze Weile hatte der Ritter seinen Gast über das Spiel und seine Züge in Kenntnis gesetzt, dann hatten sie endlich begonnen zu spielen. Nun, nach fast zwei Stunden, nahm Eccard Ribe ihr Tischgespräch wieder auf. Versonnen sagte er: »Die Lübecker hatten ein Mitglied unserer Familie gefangen genommen und gehenkt.«
Albert, der den Blick aufmerksam auf das Spielbrett gesenkt hatte und gerade feststellte, dass er mit Abstand verlieren würde, sah zu Eccard Ribe auf. »Was sagtet Ihr eben?«
»Die Ermordung eines nahen Verwandten namens Peter Ribe gab den Ausschlag dafür, dass mein Vater gegen Lübeck zog. Diese Tatsache wird gern außer Acht gelassen, wenn man über die Fehde spricht. Ihr lagt also falsch mit Eurer Vermutung, dass mein Vater keinen Grund hatte, gegen Lübeck zu ziehen. Es war, wie ich bereits sagte, eine Sache der Ehre.«
Albert musterte den jungen Ritter eindringlich. Konnte es tatsächlich möglich sein, dass an diesem Abend schon wieder eine Sache ganz anders war, als er zunächst vermutet hatte?
»Und ich sage Euch noch etwas: Ich weiß, dass Euer Handelspartner Thiderich Schifkneht als verschollen gilt. Sicher geht Ihr davon aus, dass er überfallen und ermordet wurde, und sicher zieht Ihr sogar in Erwägung, dass mein Vater dahinterstecken könnte. Nicht einmal ich kann das mit Sicherheit ausschließen. Möglicherweise haltet Ihr auch mich für einen Placker und misstraut mir deshalb so sehr. Nun, ich frage Euch, wie weit wäret Ihr bereit zu gehen, wenn Ihr wüsstet, dass ich Euren Freund und Handelspartner auf dem Gewissen hätte? Was würdet Ihr tun, um seine Ehre wiederherzustellen?«
Als Albert gerade antworten wollte, hob Eccard Ribe die Hand und schnitt ihm mit dieser Geste das Wort ab.
»Nein, nein. Antwortet nicht jetzt. Denkt darüber nach, und versucht Euch vorzustellen, Peter Ribe wäre Thiderich Schifkneht. Vielleicht würdet Ihr ebenso handeln wie einst mein Vater, der Placker – um nichts Geringeres zu verteidigen als die Ehre!«
Als Godeke den Hof von Hildegard von Horborg sah, fiel ihm ein so gewaltiger Stein vom Herzen, dass er meinte, die Frauen müssten ihn trotz ihres Wehklagens zu Boden poltern hören. Nun konnte er das erste Mal seit ihrem Aufbruch aus Hamburg wieder tief durchatmen.
Noch bevor sie das gepflegte Wohnhaus und die beiden Stallgebäude aus Fachwerk erreicht hatten, trat Hildegard aus der Tür. Zunächst winkte sie dem Pferdewagen freudig entgegen, dann jedoch hielt sie inne.
Godeke konnte nicht erklären, was genau sie verraten hatte, doch mit einem Mal wurde das
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