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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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und griff gleichzeitig nach einem Stück Wildbret. Obwohl er bereits nach den ersten Bissen satt gewesen war, konnte er einfach nicht aufhören zu essen. Zu köstlich schmeckte alles, was ihm so lange verwehrt geblieben war. Mit übervollem Mund fragte er sein Gegenüber: »Und, verratet Ihr mir, was davon Lüge und was die Wahrheit ist?«
    »Gewiss«, antwortete der Ritter, nachdem er sein letztes Stück Fleisch mit einem großen Schluck Wein herunterspült hatte. »Alles Schlechte ist wahr. Mein Vater ist ein Placker, und er überfällt tatsächlich Reisende, um große Beute zu machen. Er mordet, raubt, kämpft und tut alles, um sich durch fremdes Gut zu bereichern. Seit jüngster Zeit allerdings dient er als Truchsess am Hofe von Herzog Albrecht II. von Sachsen-Lauenburg und geht somit sogar weitestgehend ehrlicher Arbeit nach.«
    Albert hörte auf zu kauen und blickte stumm zu Eccard Ribe hinüber. Er hatte mit allem gerechnet – dass der Ritter seinen Vater verteidigen oder Albert für seine Worte zurechtweisen würde –, nicht aber damit, dass sein Gegenüber ohne Umschweife zugab, einen solch unehrenhaften Vater zu haben.
    »Tja, nun habe ich Euch erstaunt, richtig?«, bemerkte Ribe sichtlich zufrieden. »Ich weiß genau, was Ihr denkt, doch Euer Versuch, mich zu treffen, indem Ihr an der tiefen Verbundenheit zu meinem Vater rüttelt, ist gescheitert.« Der Ritter nahm sein Messer zur Hand und wischte es langsam am Tischtuch sauber. »Ich kenne meinen Vater kaum. Wir haben uns in den letzten paar Jahren selten gesehen, und auch wenn ich damit Eure Sicht der Dinge vielleicht zerstöre: Ich missbillige sein Verhalten zutiefst.«
    Albert blickte zunächst nachdenklich, dann angewidert. Wenn es etwas gab, das er noch mehr verachtete als einen Placker, dann war es wohl ein Placker, der nicht hinter seiner Sippe stand. »Ihr wollt mir also erzählen, dass Ihr im Gegensatz zu Eurem Vater ein ehrlicher Placker seid?«
    Eccard Ribe schaute auf. Seine Geduld fand nun ein jähes Ende. Aufgebracht stieß er sein Messer durchs Tischtuch ins Holz darunter und donnerte: » Was versteht Ihr schon davon, Kaufmann? Nichts wisst Ihr über das Leben eines Ritters, also maßt Euch gefälligst kein Urteil an. Für euch Kaufleute sieht es stets so aus, als sei die eine Fehde so unsinnig und überflüssig wie die andere, doch häufig verteidigen wir Ritter bloß uralte Rechtsansprüche und Besitztümer, die unseren weit zurückreichenden Familien bereits seit ewigen Zeiten zustehen. Euch mag unser Verhalten oft ehrlos erscheinen, doch meistens geht es genau darum – die Ehre unseres Geschlechts zu verteidigen. Verratet mir eines, Albert von Holdenstede: Warum habt Ihr noch nicht versucht, von hier zu flüchten? Ganz sicher nicht deshalb, weil Ihr befürchtet, in dem Fall von mir getötet zu werden, oder? Ich denke, es ist viel eher Eure Ehre, die Euch hält. Was würde es für Eure Familie bedeuten, wenn Ihr wie ein Feigling aus Eurem Einlager fliehen würdet? Ihr wäret eine Schande für sie, ist es nicht so? Was unterscheidet Euch also von einem Ritter, der seine Ehre oder die seiner Familie aufrechterhalten will? Ich werde es Euch sagen: nichts!«
    Albert wollte etwas entgegnen, doch Eccard Ribe hatte ihm jedes Argument genommen. Es stimmte, dass er niemals aus seinem Einlager flüchten würde, selbst wenn sich die Gelegenheit dazu ergäbe. Die Schmach für ihn und seine Familie wäre einfach zu groß. Es war eine Ehrensache, ein Einlager zu akzeptieren. In Ermangelung einer passenden Antwort sagte er daher nur: »Vergleicht mich nicht mit Eurem Vater. Wir haben nichts gemeinsam. Ich bin kein Dieb und auch kein Mörder.«
    Der Ritter nickte nur.
    Nachdem sie beide eine Weile geschwiegen hatten, wechselte Albert das Thema. »Warum steht Ihr in den Diensten von Graf Gerhard II. von Holstein-Plön, obwohl Euer Vater bei Herzog Albrecht II. von Sachsen-Lauenburg dient? Wäre es für Euch nicht weitaus ruhmvoller und ertragreicher, ebenfalls in den Dienst des Herzogs zu treten?«
    »Nun, davon abgesehen, dass ein und derselbe Hof für mich und meinen Vater zu klein wäre, denke ich, die Anwesenheit eines Ribes ist dem Herzog schon aufreibend genug. Nachdem die Fehde zwischen meinem Vater und Lübeck begann, hat Albrecht II. auf die Bitte meines alten Herrn hin auch anderen Mitgliedern unserer Familie Schutz und Zuflucht gewährt. Dieser Streich hat dem Herzog gehörigen Ärger mit Lübeck, Hamburg, Wismar, Lüneburg und einigen

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