Tochter des Ratsherrn
wie überzogen sein Verhalten auf den Bürgermeister wirken musste. Doch er hatte nicht an sich halten können – ging es doch schließlich um die Frau seines Herzens. Merklich um Fassung bemüht zwang er sich, tief durchzuatmen. Dann ließ er sich innerlich zitternd zurück auf seinen Sessel fallen und mäßigte seinen Ton. »Also, wer behauptet, dass die genannte Dame eine Hexe ist?«
»Bedauerlicherweise handelt es sich nicht nur um eine Behauptung. Ein Geistlicher aus Friesland, der im Hause der Verhafteten und ihres Gemahls gewohnt hat, besitzt eindeutige Beweise, die die Schuld der Hexe bezeugen.«
»Wie heißt dieser Mann?«
»Vater Everard.«
»Und was sind das für Beweise?«
»Nun ja, eigentlich keine außergewöhnlichen: ein Tiegel mit Kräutersalbe, eine schwarze Katze, verfärbte Haare. Doch der eigentliche Beweis wurde durch eine Art Wunder erbracht, welches sich während seiner Anklagerede ereignet hat.«
»Wie bitte? Das kann doch gar nicht sein. Was meint Ihr damit?«
»Ich weiß, es klingt unglaublich, aber genau so soll es sich zugetragen haben. Gerade als zweifelnde Stimmen aus der Menge laut wurden, flehte der Geistliche unseren Herrgott um ein Zeichen seiner Zustimmung an. Nur einen Moment später begann plötzlich eine stumme Magd zu sprechen.«
Johann wusste zunächst nicht, was er erwidern sollte. Dieser Beweis wog selbstverständlich sehr schwer. Trotzdem glaubte er nicht einen Moment lang an die Schuld seiner einstigen Geliebten. »Wo befindet sich … die Frau nun?« Er brachte es nicht über das Herz, Runa eine Hexe zu nennen.
»Im Verlies, wo sonst? Nachdem der Geistliche seine Beweise vorgetragen und Gott sein Wunder bewirkt hatte, wurde sie doch tatsächlich inmitten der braven Bürger entdeckt. Der Allmächtige allein weiß, was für Unheil sie dort plante. Zum Glück konnte sie ein mutiger Recke mit einem Faustschlag niederstrecken, bevor sie sich ihren üblen Machenschaften widmen konnte.«
»Was?« Wieder sprang Johann Schinkel von seinem Sessel auf und erschreckte den Bürgermeister ein zweites Mal so sehr, dass dieser entsetzt die Hand aufs Herz legte.
»Herrgott noch mal, Johann! Müsst Ihr mir denn schon wieder einen solchen Schreck einjagen?«, beschwerte sich Willekin Aios erbost.
Der Ratsnotar jedoch hörte die Worte des Bürgermeisters nicht; eisige Wut hatte ihn gepackt. »Ein mutiger Recke hat eine schwangere Frau mit den Fäusten niedergeschlagen, bloß weil behauptet wird, sie sei eine Hexe?«
Willekin Aios zog eine seiner dichten Augenbrauen hoch und legte den Kopf schief. Mit offensichtlichem Erstaunen fragte er: »Ihr wisst, dass sie schwanger ist?«
Johann fuhr erschrocken zusammen. Der Bürgermeister hatte Runas Zustand nicht erwähnt, selbstverständlich kam es ihm da seltsam vor, dass der Ratsnotar davon wusste. Johann hätte sich ohrfeigen können für seine Unachtsamkeit und ermahnte sich, sein vorlautes Mundwerk besser zu kontrollieren. »Nun … ich … ich habe die Dame Runa gesehen, als ihr Vater abgeholt wurde, um ins Einlager gebracht zu werden. Da habe ich gesehen, dass sie … in freudiger Erwartung ist.«
»Soso«, erwiderte Willekin Aios knapp. »Wie dem auch sei, da Ihr bereits von der Schwangerschaft der Hexe wisst, brauche ich Euch nicht zu erzählen, dass wir mit der peinlichen Befragung noch warten müssen.«
»Ihr wollt sie foltern lassen?«, fragte Johann, der diesmal zwar sitzen blieb, deswegen aber nicht minder aufgebracht war.
»Johann! Was ist denn heute nur mit Euch los?«, fragte Willekin Aios verständnislos. »Habt Ihr eine bessere Idee? Sollen wir ihr vielleicht einen Bittbrief schicken? Ich weiß, dass die Methode der peinlichen Befragung noch überaus neu ist, doch in diesem Fall sehe ich mich dazu gezwungen, sie anzuwenden. Schließlich gibt es ziemlich schwere Beweise für die Schuld der Frau, welche ein solches Vorgehen zur Wahrheitsfindung rechtfertigen. Auch wenn mir das persönlich missfällt – irgendwie müssen wir schließlich herausfinden, ob die Anschuldigungen wahr sind oder nicht. Seitdem die Bürger Hamburgs sich vor über dreißig Jahren gegen Gottesurteile ausgesprochen haben, bleibt uns wohl kaum eine andere Wahl.«
»Natürlich nicht«, gab Johann verzagt zurück.
»Also wirklich.« Willekin Aios schüttelte den Kopf. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, Euch liegt etwas an dieser Frau.«
Johann hob ruckartig den Kopf. »Was wollt Ihr damit sagen, Aios? Das ist doch Unsinn.
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