Tochter des Ratsherrn
Ich bin Domherr, ein Mann der heiligen Kirche. Weibsbilder interessieren mich nicht.«
Sofort hob der Bürgermeister beschwichtigend die Hände. »Das weiß ich doch, Schinkel. Ich höre Euch wohl einfach zu selten so leidenschaftlich reden.«
»Es ist nur … ich bin … es erschreckt mich, dass das Böse es mal wieder bis in unsere Mitte geschafft hat«, log er in seiner Not. »Getarnt im Körper einer gottesfürchtigen Frau, unentdeckt, trotz des wachsamen Auges der Kirche. Satan ist listig wie ein Fuchs und dennoch so schwer zu fassen wie die Schlange. Allein das ist es, was mich so aufbringt«, versicherte er glaubhaft.
»Ja, das verstehe ich, mein Freund«, sprach Willekin Aios verständnisvoll. »Auch mich seht Ihr tief erschüttert. Erst wird Albert von Holdenstede des Verrats überführt und dann auch noch seine Tochter der Hexerei beschuldigt. Der Teufel treibt sein Unwesen überall. Umso mehr beruhigt es mich zu wissen, dass ich mit Euch einen solch eifrigen Verfechter des rechten Glaubens an meiner Seite habe. Genau aus diesem Grunde habe ich auch beschlossen, dass Ihr es sein sollt, der die peinliche Befragung an der Hexe durchführt.«
»Was? Nein! Das ist unmöglich«, wehrte Johann bis ins Mark erschrocken ab. »Für so etwas habe ich keine Zeit. Meine Pflichten nehmen mich zu sehr in Anspruch, Bürgermeister. Es sollte sich besser jemand anders darum kümmern. Der Vogt zum Beispiel.« Johann Schinkel wusste nicht, wie ihm geschah. Kalt und heiß zugleich kroch ihm ein Schauder den Rücken hinauf. Eben noch hatte er überlegt, wie er Runa helfen konnte, und nun sollte er selbst darüber bestimmen, ob sie qualvoll oder weniger qualvoll sterben sollte. Er konnte das Verhör einfach nicht leiten. Das war schlichtweg unmöglich! Der bloße Gedanke daran, dass man Runa der Territion, der Schreckung, unterziehen und ihr die grausamen Foltergerätschaften zeigen würde, mit denen man sie bearbeiten wollte, wenn sie nicht von selbst gestand, eine Hexe zu sein, raubte ihm fast den Atem.
Der Bürgermeister jedoch wischte die Worte seines Gegenübers mit einer unmissverständlichen Geste hinfort. »Es tut mir leid, Johann, aber in dieser Sache kann ich ein Nein nicht gelten lassen. Das Domkapitel und der Rat müssen jetzt zusammenhalten. Dieser Fall ist eine vortreffliche Gelegenheit, um sich gegen die Willkür der Landesherren aufzulehnen und deren jüngsten Plänen, drei Vögte in der Stadt einzusetzen, ein Ende zu bereiten. Ihr wisst so gut wie ich, dass Ihr die Verbindung zwischen Rat und Geistlichkeit in dieser Stadt darstellt. Kein Mann sonst ist derzeit Domherr und Ratsmitglied zugleich. Wenn wir die Verurteilung der Hexe dem Vogtgericht allein überlassen, dann wird der Rat bei der Urteilsfindung ausgeschlossen werden. Die Hexe Runa von Sandstedt muss also vor das Ratsgericht gestellt werden, versteht Ihr? Darum ist es unerlässlich, dass Ihr das Verhör führt – und zwar erfolgreich! Nur so können wir den Fürsten zeigen, dass wir weder zwei neue Vögte brauchen noch den einzig verbliebenen Vogt, und zudem müssen wir auch noch herausfinden, ob die Hexe schuldig ist oder nicht.« Nach seiner leidenschaftlichen Rede lehnte sich Willekin Aios zurück und blickte den Ratsnotar erwartungsvoll an.
Johann wollte etwas erwidern, wollte widersprechen, gegen die Worte des Bürgermeisters aufbegehren, damit er Runa nicht verhören musste, doch seine Zunge war wie gelähmt. Es fiel ihm einfach nichts ein, das die Worte des Bürgermeisters entkräften konnte, der im Grunde recht mit dem hatte, was er sagte. Dies war tatsächlich eine einmalige Gelegenheit, die Macht der Stadt zu demonstrieren, und Johann wusste augenblicklich, dass jeder Widerstand zwecklos war. Auch wenn er und Willekin Aios einander in Freundschaft verbunden waren, ließ der Bürgermeister in Sachen der Stadt niemals Gnade walten. Darum nickte Johann bloß, um ihn wissen zu lassen, dass er einverstanden war. Was sonst hätte er tun können?
Aios hatte ganz offensichtlich mit nichts anderem gerechnet. Für ihn war die Sache damit abgemacht, und er konnte zum nächsten Thema übergehen. »Gut«, sagte er, »kommen wir zum zweiten Grund meines Besuchs.«
»Bitte, sprecht frei heraus, Bürgermeister«, forderte Johann ihn tonlos auf.
»Es wird Zeit für Eure Reise zu Graf Johann II. nach Kiel. Seine Verletzung dürfte mittlerweile verheilt sein, und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass er die Anschuldigungen gegen seinen
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