Tochter des Ratsherrn
Vetter, ihn absichtlich durch den Narren verletzt zu haben, doch noch zurücknimmt. Es darf einfach nicht zu einer Fehde zwischen ihnen kommen, Johann. Die Zwistigkeiten der Grafen würden die Stadt wie immer teuer zu stehen kommen. Es ist also im direkten Sinne der Stadt, dass wir die Herstellung des Friedens vorantreiben. Außerdem ist der Zeitpunkt günstig für Eure Reise nach Kiel, schließlich muss Runa von Sandstedt zunächst ihr Kind gebären, bevor Ihr sie verhören könnt.«
Auch wenn Johann im Gegensatz zu Willekin Aios keine große Hoffnung hegte, dass ausgerechnet Graf Johann II. – der Einäugige, wie er seit dem Vorfall genannt wurde – einer Versöhnung mit seinem verhassten Vetter zustimmen würde, musste er es wenigstens versuchen. »Ich werde gleich morgen aufbrechen. Wünscht mir Glück, dass Graf Johann II. mich nicht vor Wut über mein Anliegen in seinen Turm sperren lässt«, bemerkte er höhnisch.
»Das wäre in der Tat ungünstig. Schließlich brauche ich Euch noch für das Verhör der Hexe«, erwiderte der Bürgermeister mit einem trockenen Lächeln.
»Nun, bevor ich abreise, werde ich sie in ihrem Verlies aufsuchen, um mir selbst ein Bild von ihr zu machen.«
»So? Warum wollt Ihr das tun?«, fragte Aios etwas überrascht.
Johann wusste natürlich genau, wie ungewöhnlich es war, dass er als Ratsnotar einer Hexe einen Besuch abstatten wollte. Doch er musste einfach zu ihr. Er wollte Runa in diesen schweren Tagen wenigstens mit guten Worten beistehen, sie trösten, sie vor allen Dingen aber auch auf das Unvermeidliche vorbereiten. Sie sollte nicht durch Dritte erfahren, dass er die peinliche Befragung würde leiten müssen. Doch der Bürgermeister durfte keinen Verdacht den wahren Grund seines Besuches betreffend schöpfen, und darum wählte Johann seine Antwort mit Bedacht. »Ich möchte die Hexe sehen, weil ich versuchen will, sie kraft meiner Gebete zur Umkehr zu bewegen. Vielleicht gelingt es mir, ihr durch die Worte Gottes den Teufel auszutreiben. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Unholdin schon beim Anblick einer Bibel gesteht. Ich bin voller Vertrauen in unseren Herrn Jesus Christus.« Zu seiner eigenen Überraschung gelang es ihm tatsächlich, für den Augenblick jede Bitternis aus seinen Worten zu verdrängen.
»Eure Großmut und Euer tiefer Glaube ehren Euch, Ratsnotar. Doch wenn Ihr zu der Hexe geht, dann hütet Euch vor ihrem bösen Blick. Nach dem, was mir angetragen wurde, muss sie überaus mächtig sein.«
»Ich danke Euch für Euren Rat, guter Freund. Aber Gott wird mich leiten und mich beschützen.«
»Daran habe ich keinen Zweifel«, gab der Bürgermeister glaubhaft zurück.
Als das Gespräch der Männer sich schon dem Ende neigte und der Bürgermeister bereits im Begriff war zu gehen, fiel Johann Schinkel noch eine letzte Frage ein. »Ach ja, könnt Ihr mir sagen, wo ich diesen Vater Everard finde?«
Nachdem die Männer Runa ergriffen hatten, war Vater Everard noch so lange hinter den Männern hergelaufen, bis die bewusstlose Hexe in den Mauern des Verlieses verschwunden war. Jubelnd feierten die Hamburger zunächst Runas unfreiwilligen Einzug in den Kerker und gleich darauf den Geistlichen, der ihnen das dämonische Weib ausgeliefert hatte. Vater Everard musste sich um ein würdevolles Gesicht bemühen, denn eigentlich hätte er am liebsten bis über beide Ohren gegrinst. Eine tiefe Zufriedenheit erfasste sein Herz. Die Menge feierte ihn wie einen Helden.
Doch noch am selben Tag, als eigentlich schon alles vorbei war und die ersten Bürger bereits zurück in ihre Häuser gingen, brach vollkommen unerwartet ein Tumult aus. Der Hexe beraubt gab es plötzlich nichts mehr, an dem sie ihre Wut hätten auslassen können. Plötzlich war der Stein allen Anstoßes verschwunden – doch nicht so der Zorn auf jenes Weib, das sich so schamlos unter die Hamburger gemischt hatte, um Unheil zu stiften. Die blutheischende Menge dürstete nach Rache, und so dauerte es nicht lange, bis Rufe nach den anderen von-Holdenstede-Frauen laut wurden – die Mutter und die Schwester konnten schließlich ebenso gut Satans Dienerinnen sein.
Was zunächst bloß eine vage Vermutung war, verwandelte sich rasch in zornige Gewissheit, und die Suche nach Ragnhild und Margareta begann! Jeder Winkel, jeder Schuppen und jedes noch so unübliche Versteck in der Stadt wurde von mit Messern, Stöcken und Rechen bewaffneten Männern in Augenschein genommen, die wild entschlossen waren, ihre
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