Tochter des Ratsherrn
aussah, als wollte er ein Stück herausbrechen. Nun also würde sich Runas Schicksal entscheiden. Johann Schinkel hätte sich am liebsten übergeben.
»Ehrenwerter Rat, ehrenwerter Bürgermeister und ehrenwerte Stadtherren. Wir, die Wittigesten, verkünden im Namen der Bürger Hamburgs, dass die Dame Runa sich in der Vergangenheit mehrfach auffällig verhalten haben soll. So soll sie zum Beispiel von Zeit zu Zeit dem Gottesdienst ferngeblieben sein. Außerdem hat die Dame Alheid Salsnak bemerkt, dass es jedes Mal, wenn die Dame Runa zugegen war, auffällig heiß wurde – genau so, wie es wohl in Gegenwart des Höllenfeuers sein muss.«
Ein erschrockenes Murmeln ging durch die Menge, und einige der Hamburgerinnen warfen sich ungläubige Blicke zu. Konnte das wirklich wahr sein? Eine derart mächtige Hexe – inmitten von Christenmenschen?
»Margareta Cruse, welche wie die Beschuldigte in der Reichenstraße wohnt, berichtet zudem, sie habe im Hause der Dame Runa seltsame Geräusche gehört, ein Singen und ein Kreischen.«
Wieder ging ein gedrückter Aufschrei durch die Menge. Die Bürger bekreuzigten sich, um das Übel von sich fernzuhalten.
»Des Weiteren sind da noch die schweren Vorwürfe des tapferen Vater Everard, der die Dame selbst bei Zaubereien und sogar bei der Verwandlung ihrer Haarfarbe ertappt haben will und der ihrer schwarzen Katze – der Botin der Hölle – eigenhändig den Garaus gemacht hat.«
Graf Gerhard II. hatte eigentlich nur mit einem Ohr zugehört, was Meister Curland erzählte, doch nun wurde er plötzlich hellhörig. Mit einer kaum wahrnehmbaren Geste winkte er Marquardus herbei und fragte ihn: »Ist das nicht der Pfaffe, den wir aus meinem Haus gezerrt haben?«
»Ja, ganz recht, mein Fürst.«
Meister Curland kam zum Ende seiner Rede. »Auch wenn es ein paar wenige Stimmen gab, die sich für das tugendhafte Verhalten der Dame Runa ausgesprochen haben, blieben sie in der Unterzahl. Man beachte auch, dass nach der Festnahme der vermeintlichen Hexe fast die gesamte Sippe derer von Holdenstede aus der Stadt verschwunden ist. Das alles ist äußerst verdächtig. Die Bürger haben daher befunden, dass die Dame Runa tatsächlich eine Hexe ist, welche den Tod durch den Scheiterhaufen verdient.«
Nach dieser Verkündung reckten viele der Versammelten zustimmend ihre Fäuste in die Höhe und brüllten so laut, dass das Klagen und Weinen der fünf Frauen gänzlich übertönt wurde, die sich für Runa ausgesprochen hatten. Sie hatten nichts weiter tun können, als abzuwarten, nachdem sie bei Meister Curland gewesen waren, um ihn davon zu überzeugen, dass ihre Freundin, Herrin und Schwägerin keine Hexe war. Schon da hatten sie gespürt, dass sie mit dieser Meinung so gut wie allein dastanden. Jetzt war das Schlimmstmögliche eingetreten, und Ava, Oda, Agnes, Agatha und Kethe ließen ihren Tränen freien Lauf.
Der Ratssekretär sah zu Willekin Aios hinüber, um den Befehl des Bürgermeisters entgegenzunehmen.
Keiner der beiden bemerkte, dass Johann Schinkel das Herz bis zum Halse schlug. Nein, bitte nicht. Herr im Himmel, verschone sie, nimm mich an ihrer statt, und ich will mich sogleich aus diesem Fenster stürzen , beschwor er Gott, doch all sein Flehen war umsonst.
Der Bürgermeister nickte dem Sekretär zu, worauf dieser unbeirrt seines Amtes waltete. Der nach oben gerichtete Daumen des Mannes unterstrich die Worte, die den Willen des Bürgermeisters kundtaten.
»Die Stadt Hamburg hat entschieden, dass dem Ratschlag der Wittigesten entsprochen wird. Die Hexe soll ihr Ende im Feuer finden, sobald sie niedergekommen ist. Gott sei ihrer armen Seele gnädig.«
Runas Tod auf dem Scheiterhaufen war nun beschlossene Sache und wurde mit lautem Jubel von den Bürgern aufgenommen. Nur einen Moment danach – so, als wäre gar nichts Schlimmes passiert – wurde die Bursprake mit den immer gleichen Worten beendet: » Wi danket iuw, dat gi sin herekommen! «
So schnell, wie die Hamburger eben auf den Platz geströmt waren, so schnell hatten sie ihn auch wieder verlassen. Runas Schicksal würde kaum einen von ihnen um den Schlaf bringen. Die Hamburger waren flink mit ihren Urteilen, wenn es um Hexen ging, das war schon immer so gewesen. Hexen brachten nichts als Unheil und mussten vernichtet werden, und eine Hinrichtung stellte ein unterhaltsames Spektakel dar, das sich kein Mann, keine Frau und kein Kind entgehen ließ.
Johann Schinkel musste sich zusammenreißen, den so gedankenlosen,
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