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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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irgendwelcher Hausarbeit her. Eher sahen sie nach einer handfesten Prügelei aus – was allerdings so gar nicht zu einem Geistlichen passen wollte. Am liebsten hätte Marquardus ihn einfach verscheucht, doch Gerhard II. hatte offenbar andere Pläne.
    »Habt recht herzlichen Dank, Vater«, sagte der Graf in einem nicht zu deutenden Ton in die Richtung Everards, der nun untertänigst die Augen niederschlug und fromm die Hände vor der Brust faltete. »Da Ihr schon dabei seid, so großzügig mit Segenssprüchen um Euch zu werfen, könnt Ihr uns doch gleich auf den Kunzenhof begleiten. Einen Geistlichen an meiner Seite kann ich bei der kurz bevorstehenden Zusammenkunft mit meinen missgünstigen Vettern wahrlich gut gebrauchen. Ihr habt doch nichts dagegen, Priester?«
    Everard verstand zunächst nicht, doch dann wurde der Graf deutlicher.
    Das Gesicht des Fürsten nahm mit einem Mal einen versteinerten und unnachgiebigen Ausdruck an, und seine Worte klangen eher nach einer Gefangennahme denn nach einer Einladung. »Nehmt ihn mit!«
    Noch ehe sich’s Vater Everard versah, gab Marquardus den Wachen ein Zeichen, auf dass die Männer ihren unfreiwilligen Gast mit grimmigen Blicken zum Mitkommen aufforderten.

9
    Obwohl der Platz vor dem Rathaus schon über und über mit den Bürgern Hamburgs gefüllt war, strömten immer weitere Männer und Frauen hinzu. Sie kamen über die Trostbrücke, von der Zollenbrücke über den Hafen und vom Ness aus, bis sie bereits weit vor den offenen Fenstern des Rathauses anhalten mussten, da ein näheres Herankommen durch die dicht gedrängten Körper unmöglich war.
    Es regnete leicht, doch es war windstill, sodass die feinen Tröpfchen senkrecht nach unten fielen. Aus dem kotgetränkten Boden stieg ein schier unerträglicher Gestank auf, der sich in der feuchten Luft mit den Ausdünstungen der ungewaschenen Leiber mischte. Normalerweise scheuten die Hamburger Regen. Viele besaßen nur ein einziges Kleid, und niemandem gefiel es, nass durch den Tag zu gehen. Heute jedoch hätte kein noch so schlechtes Wetter die Bürger davon abhalten können, zum Rathaus zu kommen, denn heute war der Tag der Bursprake!
    Männer und Frauen aus allen Schichten kamen zu der Bürgerversammlung, dabei war es offenbar unerheblich, ob sie an der Staatsführung interessiert waren oder gerade einmal die Namen der beiden Bürgermeister kannten. Möglicherweise war es das Gefühl, die Geschicke der Stadt selbst als einfacher Mann mitentscheiden zu können, vielleicht aber auch die bloße Neugier.
    Zweimal im Jahr fand eine solche Bursprake statt – am Tage Thomae Apostoli am einundzwanzigsten Dezember und an Cathedra Petri am zweiundzwanzigsten Februar. Außerordentliche Burspraken wie die heutige wurden nur selten einberufen. Ursprünglich diente sie der Verlesung der Vorschriften, welche die Stadtbewohner einzuhalten hatten, doch mit den Jahren wurde sie immer mehr zu einer Versammlung, bei der die Hamburger ihre Widersprüche einlegen und ihre Wünsche äußern konnten – und das taten sie gnadenlos.
    Johann Schinkel fühlte sich elend an diesem Tag. Fast war ihm, als hätte ihn das Fieber überkommen. Doch es war keine Krankheit, die ihn schüttelte, es war die Angst vor der Blutrünstigkeit des Volkes. Zusammengesunken hockte er auf seinem Platz im Gehege, während alle anderen Herren des sitzenden und des alten Rates schon erwartungsvoll an den Fenstern standen und auf die herannahenden Bürger herabblickten.
    Erst gestern, nach seiner Ankunft in Hamburg, hatte man Johann über den ratsherrlichen Beschluss informiert, der während seiner Reise nach Kiel gefällt worden war. Seine tiefe Erschrockenheit darüber, dass man über Runas Schicksal mittels einer Bursprake zu entscheiden beliebte, hatte er gerade noch so lange verbergen können, bis er aus dem Rathaus heraus und zurück in seiner Kurie war. Dann aber war es um seine Beherrschung geschehen gewesen, und er hatte eine Ewigkeit an seinem Schreibtisch gesessen, das Gesicht in den Händen vergraben. Johann wollte nichts hören, nichts sehen, nichts wissen. Irgendwann erkundigte sich Jacob nach seiner Reise, doch als er keine Antwort erhielt, spürte er, dass sein Herr Ruhe brauchte, und schloss leise die Tür. Das alles war zu viel für einen Mann, schloss Johann verzagt. Gerade hatte er seinen Sohn kennengelernt, und nun sollte er dafür sorgen, dass dieser zu einem Halbwaisen wurde. Wie konnte er dem Kind so etwas antun? Thymmo war ein Junge, wie ihn sich

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