Tochter des Ratsherrn
der für Runa die letzte Möglichkeit auf Hilfe gewesen war. Nun würde niemand kommen, um ihr bei der Geburt beizustehen.
Der Junge war verwirrt. Warum lachten die Männer, anstatt ihm zu sagen, welche Antwort er dem Wärter überbringen sollte? Mit hängendem Kopf machte er sich auf den Rückweg und kickte mutlos ein paar kleine Steine vor sich her. Er bemerkte nicht, dass ihm zwei Gestalten folgten.
Als er in eine kleine, nahezu menschenleere Straße unweit des Verlieses einbog, kamen zwei Frauen herbeigelaufen. Sie kamen ihm bekannt vor. Ja, beide hatten eben neben ihm gestanden und mit rot geweinten Augen zu Willekin Aios und Johannes vom Berge aufgeschaut.
»He du, Bursche. Warte!«, riefen sie mit leisen Stimmen.
Er gehorchte und blieb stehen. Fragend blickte er zu den Frauen hoch. »Was wollt ihr von mir?«
Ava und Oda lockten ihn in eine kleine Häusernische. »Komm mit, dann sagen wir es dir«, versprach Ava, beflügelt von der Möglichkeit, die sich so unerwartet durch den Jungen aufgetan hatte. Geschwind zog sie eine glänzende Münze aus ihrer Rockfalte und hielt sie dem Jungen vor die Nase. »Ich bin mir sicher, dass du noch niemals eine solche Münze besessen hast, richtig? Wenn du sie haben willst, musst du mir nur einen einzigen Gefallen tun.«
Der Junge bekam glänzende Augen. Das funkelnde Geldstück befand sich so nah vor seinem Gesicht, dass er kurz zu schielen begann. Wie von selbst hob sich seine schmutzige Hand, um danach zu greifen, doch Ava war schneller und zog die Münze wieder an sich.
»Noch nicht. Zuerst musst du tun, was ich verlange.«
»Und was verlangt Ihr?«
»Du sollst dem Wärter sagen, der Bürgermeister hätte mich geschickt, damit ich der Hexe bei ihrer Niederkunft beistehe.«
Der Bursche sah Ava durchdringend an. Er schien zu überlegen. »Aber das hat der Bürgermeister doch gar nicht gesagt!«
»Schscht! Das ist ganz gleich. Machst du es oder nicht? Wenn ich im Verlies bin, bekommst du die Münze und verschwindest.«
Der Kleine nickte.
»Gut«, sagte Ava. Dann wandte sie sich an Oda und trug ihr auf: »Lauf, so schnell du kannst, zu Kethe. Sie soll zum Verlies kommen. Und sie soll etwas mitbringen … etwas, das Runa und das Ungeborene gebrauchen können. Verstehst du …?« Ihre Worte klangen verschwörerisch, wollte sie doch nicht laut aussprechen, dass sie damit Kräuter und schmerzlindernde Salben meinte, doch Oda verstand auch so. »Ich werde dafür sorgen, dass man euch einlässt. Und jetzt geh, schnell.«
Es hatte wahrlich nicht viel Überredungskunst gebraucht, den Wächter davon zu überzeugen, zunächst Ava und später auch Oda und Kethe ins Verlies zu lassen. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass ihn das stundenlange Schreien der Niederkommenden fast um den Verstand gebracht hatte.
Tatsächlich hatte er erst dann den kleinen Jungen um Hilfe geschickt, als er es nicht mehr ausgehalten hatte.
Runa lag zu dieser Zeit schon eine Ewigkeit vollkommen hilflos in den Wehen und schrie aus Leibeskräften, um sich Erleichterung von dem grausamen Schmerz zu verschaffen, der sie zu zerreißen drohte. Langsam wurden ihre Schreie schwächer, und als Ava kam, war sie schon so entkräftet, dass sie kaum mehr eine Regung zeigte.
Erst Kethe erkannte, dass das Ungeborene sich nicht gedreht hatte und mit den Füßen zuerst kommen würde. Eine solche Geburt war für Mutter und Kind äußerst gefährlich und überaus peinigend, zudem hatten sie weder heißes Wasser noch Leinentücher, um Runas Wehen mit Umschlägen zu unterstützen.
Alles, was sie tun konnten, war, ihrer Freundin die Hand zu halten, ihr beim Atmen zu helfen, Gebete zu sprechen und zu versuchen, ihr mit Kethes verbotenen Heilmitteln etwas Linderung zu verschaffen.
Die Nacht wurde lang und qualvoll. Nichts vermochte Runa zu helfen. Sosehr sie auch nachzuhelfen versuchten – das Kind wollte und wollte nicht kommen. Nacheinander drückten die Frauen mit verschränkten Armen auf den oberen Teil von Runas Bauch, griffen in sie hinein in der Hoffnung, das Kind vielleicht zu fassen zu bekommen, und brachten sie immer wieder in andere Positionen. Doch nichts geschah. Obwohl die Wehen nach wie vor regelmäßig kamen, blieb das Kind, wo es war. Als der Morgen langsam dämmerte, war Runa kaum mehr ansprechbar. Die Frauen konnten nicht sagen, ob das Ungeborene überhaupt noch lebte.
Die Erschöpfung wirkte sich auf jede der Freundinnen anders aus. Oda und Ava weinten leise vor sich hin, während Kethe sich in
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