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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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selbstgerechten Richtern der Mutter seines Kindes nicht etwas Unchristliches hinterherzubrüllen. Er hatte geahnt, dass es so kommen würde, und doch traf ihn das Urteil hart. Wie versteinert starrte er auf die Straße hinunter, als ihm eine Hand auf die Schulter gelegt wurde.
    »Was ist mit Euch? Warum starrt Ihr so finster vor Euch hin?« Es war der Bürgermeister, der den Ratsnotar mit gerunzelter Stirn musterte. »Kann es wirklich sein, dass Ihr Euch noch immer grämt, weil nicht Ihr die Hexe enttarnt habt?«
    Johann erwiderte nichts.
    »Ich sage Euch etwas, Johann«, begann der Bürgermeister nun leise und in vertraulichem Ton. »Quält Euch nicht, mein Freund. Wir sind bloß Menschen. Allein Gott ist ohne Tadel. Niemand zweifelt an Eurer Arbeit.«
    »Ich … danke Euch«, stotterte Johann. »Ihr habt recht, es … es peinigt mich.«
    Wieder schlug Aios dem Ratsnotar auf die Schulter. »Ihr seht blass aus. Ich denke, was Euch fehlt, ist ein guter Schluck Wein und ein ordentliches Mahl. So wie ich Euch kenne, habt Ihr als Buße für Euer vermeintliches Versagen sicher schon tagelang gefastet. Versteht mich nicht falsch, ich bewundere Eure Willenskraft, und ich will mich auch nicht über Eure Wünsche hinwegsetzen, doch was nützt der Stadt ein geschwächter Ratsnotar? Wir brauchen Euch. Und nun kommt.«
    Als sich die Männer gerade von dem offenen Fenster entfernen wollten, hörten sie plötzlich jemanden rufen.
    »Halt! Bürgermeister, haltet ein!«
    Beide Männer drehten sich gleichzeitig um und schauten aus dem Fenster. Es war ein kleiner Junge, der mit seiner piepsigen Stimme gerufen hatte.
    »Was willst du von mir?«, fragte der Bürgermeister erstaunt.
    »Der Verlieswärter schickt mich. Die Hexe schreit. Er glaubt, sie bekommt ihr Kind.«
    Einen Augenblick fragten sich alle, die die Worte des Jungen gehört hatten, ob dies wirklich ein bloßer Zufall sein konnte. Gerade eben war das Schicksal der Hexe besiegelt worden, und in just diesem Moment bekam sie tatsächlich ihr Kind?
    Auch Johannes vom Berge stand wie alle anderen der Electi, Assumpti und der Extramanentes noch immer am Fenster. Für ihn war dieser Tag ein glanzvoller, der nur noch von der Nachricht über Runas Niederkunft gekrönt werden konnte. Schließlich wäre es dann mit der letzten noch in der Stadt weilenden von Holdenstede aus und vorbei. Von seiner guten Laune getrieben rief er dem Jungen grinsend entgegen: »Und was soll unser werter Bürgermeister jetzt tun? Ich hoffe doch sehr, dass der Wachmann nicht verlangt, dass einer von uns Herren die Hebamme ersetzt.«
    Augenblicklich setzte ein dröhnendes Gelächter unter den Männern ein.
    Ratlos blickte der kleine Junge zu ihnen hinauf. Seinem Blick war zu entnehmen, dass er sich fragte, was er jetzt tun sollte.
    Einzig und allein Johann Schinkel konnte nicht mitlachen. Ganz im Gegenteil: Die Nachricht über Runas Niederkunft ließ sein Herz nur noch schwerer werden, und die derben Witze des Johannes vom Berge hinterließen einen schalen Geschmack auf seiner Zunge. Doch dieses Mal würde er nicht schweigen. Er konnte einfach nicht mehr. Mit schmalen Lippen presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Bürgermeister, im Namen Gottes, schickt jemanden!«
    »Was meint Ihr?«, fragte Willekin Aios und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.
    »Ich meine, es wäre nicht recht, das Ungeborene womöglich sterben zu lassen. Die Dame Runa mag vielleicht eine Hexe sein, doch das Kind in ihr ist immer noch ein unschuldiges Geschöpf Gottes, dessen Diener ich bin!«
    Der Bürgermeister verstand nicht recht oder wollte nicht verstehen, was Johann meinte. Versonnen sagte er: »Selbstverständlich wird nach der Geburt ein Priester kommen, um das Kind zu taufen! Ihr haltet mich doch nicht etwa für so unsittlich, mein Freund?«
    »Das meine ich nicht«, stieß Johann nun ungehalten hervor. »Sie braucht eine Wehmutter, die sie …«
    Johannes vom Berge fuhr Johann unvermittelt grob dazwischen. »Unsinn! Das Weib ist eine Hexe und hat es nicht verdient, dass man ihr hilft. Soll sie sich doch das Ende der Geburt herbeizaubern.«
    Wieder fingen die Männer schallend an zu lachen. Johanns Bitte verhallte ungehört.
    Im nächsten Moment kam Graf Gerhard II. auf ihn und Willekin Aios zu und forderte die Männer auf, ihm beim Mahl Gesellschaft zu leisten. Johann blieb keine andere Wahl, als die Einladung anzunehmen. So verließ er das Fenster und kehrte dem kleinen Jungen den Rücken zu,

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