Tochter des Ratsherrn
hingebungsvoller Ruhe hinter die Gebärende setzte und deren Kopf auf ihren Schoß bettete. Hoffnungsvoll und verzweifelt zugleich schaute die Begine auf Runas runden Bauch. Er war bereits blau und grün vom vielen Drücken und Quetschen und das Stroh zwischen ihren Beinen blutverschmiert.
Plötzlich pochte es laut an die Verliestür. »He, ihr da drinnen! Was ist los? Seid ihr endlich fertig, oder was tut ihr Weiber da?« Der Wachmann wollte streng klingen, doch es gelang ihm nicht. Zu groß war seine Angst, die anderen Frauen könnten ebenfalls Hexen sein und in der Zelle ihr Unwesen treiben. Nie im Leben wäre er einfach hereingekommen. Er traute sich noch nicht einmal, durch die schmale Luke in der Tür zu schauen, schließlich ging die Rede, man könne allein durch den Anblick einer Hexe sein Augenlicht verlieren.
Die Frauen schauten sich an. Keine wusste, was sie erwidern sollte. Dann fasste sich Oda ein Herz, trat an die Tür und erklärte: »Das Kind ist noch nicht geboren.«
»Wie lange dauert es denn noch?«
»Das kann ich nicht sagen. Die Geburt ist schwer.«
Der Wächter schwieg. Nur das Klirren seiner Schlüssel und das Scharren seiner Füße waren zu vernehmen. »Hört zu, ich weiß, dass ihr gelogen habt«, sagte er einen Augenblick später. Seine Stimme klang gehetzt. »Der Bürgermeister hat euch gar nicht geschickt. Nur weil ich die Schreie der Hexe nicht mehr ausgehalten habe, habe ich euch eingelassen. Aber in einer Stunde ist Wachwechsel. Ihr müsst vorher verschwinden – egal, ob das Balg dann da ist oder nicht. Habt ihr verstanden?«
»Ja«, erwiderte Oda matt. »Habt Dank!« Sie wandte sich zu den anderen Frauen um und starrte auf Runa, die nach vielen Stunden endlich mal wieder die Augen geöffnet hatte.
»Ich … ich versuche es … noch einmal«, stöhnte sie mit letzter Kraft und rappelte sich ein wenig auf.
Kethe packte sie unter den Schultern, und Ava und Oda setzten sich wieder in Position. Sie alle wussten, dass dies ihre letzte Möglichkeit war. Sollten sie jetzt scheitern, würden sie Runa einfach liegen lassen müssen, was ihren sicheren Tod bedeutete. Sie mussten es einfach schaffen!
Als Runa eine ihrer nun selten gewordenen Wehen überkam, setzten alle Frauen letzte ungeahnte Kräfte frei. Nicht nur Runa schrie, sondern auch die übrigen drei Frauen. Wieder und wieder pressten und atmeten sie gemeinsam, und immer wieder schrien sie voller Wut und Entschlossenheit, was die Niederkommende schließlich zu schier Unmöglichem befähigte.
Dem Wärter vor der Tür wurde angst und bange. Was ging dort drinnen vor sich? Noch nie zuvor hatte er solche furchteinflößenden Schreie gehört. Entschlossen pochte er mit der Faust gegen die Tür. »Die Zeit ist um! Kommt jetzt raus! Sofort!«
In genau diesem Moment fiel das Kind in Avas Arme.
10
»Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass Ihr mich auf der Reise nach Hamburg begleiten wollt? Mir wäre sehr viel wohler, wenn Ihr auf der Burg bliebet.« Graf Johann II. führte die schwangere Margarete an seinem Arm hinunter zum Burghof, wo schon sein mächtiges Gefolge bereitstand.
»Sorgt Euch nicht um mich, mein Liebster. Mir ging es noch nie besser. Außerdem habe ich ja meine Damen bei mir. Sollte unser Kind sich tatsächlich entschließen, so viele Wochen zu früh auf die Welt zu kommen, so bin ich bereit.«
Johann entging die Ironie in ihrer Stimme nicht – er verstand, dass sie ihn damit nur beruhigen wollte. »Nun gut, wenn Ihr es wünscht«, gab der Graf schließlich nach und half seiner Gemahlin in den Pferdewagen. »Dann bleibt mir wohl nur noch, Euch zu fragen, ob es etwas gibt, das Euch die Reise erleichtern würde.«
Auf genau diese Frage hatte Margarete gehofft, und sie würde dieses Angebot schamlos ausnutzen. »Es gibt tatsächlich etwas, das mein Herz erfreuen würde, mein Gemahl«, sprach sie mit ihrer lieblichsten Stimme. »Lasst unseren Spielmann mit mir reisen. Dann können meine Ohren den bezaubernden Klängen seiner Laute lauschen anstatt dem Gebrüll Eurer Männer.«
Der Graf schaute seine Gemahlin zweifelnd an, die bereits in das prachtvolle und weich gepolsterte Gefährt gestiegen war und nun zu der glaslosen Fensterluke hinausschaute. »Der Spielmann und Ihr allein in einem Pferdewagen?«
Margarete lachte hell auf. »Schiebt Eure Zweifel hinfort, mein Liebster. Jedermann wird ihn spielen hören, und soweit ich weiß, braucht man dafür beide Hände. Nicht einmal ein Priester wird das bestreiten
Weitere Kostenlose Bücher