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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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älteren Ratsherren an diesem Tag eine längst vergangene Beerdigung in den Sinn. Damals waren fast genauso viele Menschen durch die Straßen gezogen, um gebührend Abschied von einem wichtigen Mann der Stadt zu nehmen, dem einstigen Ratsnotar Jordan von Boizenburg. Die Trauer der Hamburger damals war ehrlich gewesen. Jeder hatte Jordan geachtet, niemand Zweifel an der Ehrbarkeit seiner Verdienste für die Stadt gehegt. Frauen wie Männer kämpften an diesem Tage vor zwanzig Jahren aufrichtig mit den Tränen. Die beiden Beerdigungen hätten nicht unterschiedlicher sein können.
    Walther, Albert und Thiderich gingen nebeneinander. Dicht hinter ihnen folgten ihre Frauen. Die Position, die sie in der Menge einnahmen, machte deutlich, dass sie es in den letzten Jahren geschafft hatten, vermögende und achtbare Kaufleute zu werden. Auch wenn vor ihnen einige andere Familien schritten, war die Menge dahinter doch erheblich größer.
    Obwohl Stolz eine Todsünde war, trugen die Frauen der Kaufleute in den ersten Reihen ihre Häupter hocherhoben, und auch Ragnhild konnte sich nicht gänzlich frei davon machen. Sie war stolz auf ihren Gemahl, und sie hatte auch wahrhaft Grund dazu.
    Nachdem Albert sich vor vielen Jahren aus den Fesseln seines machthungrigen Bruders Conrad befreit hatte, war er mehr und mehr in die Fußstapfen seines einst sehr erfolgreichen Vaters getreten, welcher als Tuchhändler und Mitglied des Rates hoch geschätzt gewesen war. Nun tat Albert es ihm mit seinem Holzhandel gleich.
    Doch es waren nicht nur sein Erfolg und sein Handelsgeschick, das Ragnhild schätzte. Nein, auch seine Großherzigkeit und die Liebe, die er für sie empfand, waren mit den Jahren unverzichtbar für sie geworden. Ragnhild konnte sich einfach nicht mehr vorstellen, auch nur einen Tag ohne ihn zu sein. Zu ihrem Glück übernahmen Walther und Thiderich mittlerweile beinahe sämtliche von Alberts Handelsreisen, sodass sie ihren Mann fast immer für sich hatte.
    Anfangs hatte Ragnhild ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie ihrer Tochter so oft den Gemahl entzog, doch schon seit einigen Jahren befiel sie immer häufiger das Gefühl, dass Runa keineswegs unter Walthers Abwesenheit litt. Diese Gedanken bereiteten ihr Sorge, die nun jedoch wegen der jüngsten Ereignisse von einer anderen überdeckt wurde. Ragnhild konnte es nicht leugnen: Der Tod des Grafen beunruhigte sie zutiefst. Möglicherweise war das Handelsgeschäft, welches die Truhen ihrer Familie in den letzten Jahren immer prall gefüllt hatte, nun in Gefahr und mit ihm das Leben und das Ansehen Thiderichs, Walthers und Alberts.
    Als hätte Margareta ihre Gedanken gelesen, hakte sie sich plötzlich bei Ragnhild unter und sagte im Flüsterton: »Sorge dich nicht, Mutter. Vater ist klug und wird schon einen Ausweg finden.«
    Ragnhild schaute ihre Stieftochter verwirrt an. »Woher weißt du, was ich …?«
    »Ich weiß es, weil du den Söhnen des Grafen seit einer Ewigkeit auf den Rücken starrst. Es ist wahrlich nicht schwer, deine Gedanken zu lesen; sie stehen dir förmlich ins Gesicht geschrieben.«
    Mehr zu sich selbst als zu ihrer Stieftochter sagte Ragnhild: »Du liebe Güte, ich muss vorsichtiger sein.«
    Margareta ging nicht weiter auf die Worte ihrer Stiefmutter ein. Sie wirkte nicht annähernd so besorgt wie Ragnhild. In leisem Plauderton fragte sie: »Findest du nicht auch, dass die drei Grafensöhne unglaubliche Ähnlichkeit miteinander haben? Wer von ihnen ist wer? Kannst du sie auseinanderhalten?«
    Ragnhild schaute wieder nach vorne und suchte die Fürsten mit den Augen. Es war ihr bisher nicht bewusst aufgefallen, aber Margareta hatte recht: Die drei Männer hatten alle das gleiche braune Haar und die gleichen braunen Augen. Keiner von ihnen stach auf den ersten Blick besonders hervor. Selbst an Körperlänge konnte keiner mehr als der andere aufweisen.
    Zunächst war Ragnhild etwas verwundert über die Frage ihrer Tochter, doch dann fiel ihr ein, dass die Grafensöhne bislang überwiegend in Itzehoe gelebt hatten. Auch wenn die Schauenburger eine Residenz in der Stadt besaßen, waren die drei Brüder schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gemeinsam in Hamburg gewesen. Es war höchste Zeit, dass Margareta lernte, ihre Gesichter auseinanderzuhalten.
    »Pass auf, Liebes. Die Söhne des Grafen gehen ihrem Alter entsprechend nebeneinander. Der ganz rechts ist Gerhard II. Er soll der grausamste unter den Brüdern sein. Wenn ich mich nicht irre, zählt er jetzt

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