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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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Zeit schier unerträglich wurde vor Anspannung. Weder Gerhard II. noch seine Brüder noch dessen Vettern brachten das erste Grußwort über die Lippen.
    Schließlich begann Gerhard II. hämisch zu grinsen. Als Marquardus seinem Herrn wie gewohnt ins Ohr flüstern wollte, wer dort vor ihm stand, hob dieser geschwind die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. In selbstgefälligem Ton sprach er in die Richtung der gerade Eingetretenen: »Vielleicht ist es Euch entgangen, ihr geheimnisvollen Unbekannten, aber ich bin blind. Wenn Ihr also einen angemessenen Gruß austauschen wollt, dann müsstet Ihr Euch schon zu erkennen geben.«
    Johann II. stieg die Zornesröte ins Gesicht. Es war einfach allzu offensichtlich, was sein Vetter mit dieser List erreichen wollte. Der Hass zwischen den Grafen konnte kaum größer sein, was sich auch in Johanns Antwort widerspiegelte. »Ist das etwa der Grund, warum Eure Hofnarren mir galanterweise nur ein Augenlicht genommen haben? Damit wenigstens einer von uns noch erkennt, wenn der Feind vor ihm steht? Wie überaus weise von Euch.«
    Nach diesen Worten schnellte Gerhard II. blitzartig von seinem Sessel hoch, die Hand auf dem Heft seiner Klinge, die trotz seiner Blindheit noch immer gefährlich war. »Ihr wagt es, mich öffentlich eines Anschlages zu bezichtigen?«
    Johann II. tat es ihm gleich und trat einen Schritt vor, bis die Männer nur noch eine Mannslänge voneinander trennte.
    Augenblicklich stürzten die Gefolgsleute der zerstrittenen Grafen nach vorne – bereit, ihren jeweiligen Herrn zu verteidigen. Ein Ruck ging durch die umstehende Menge, begleitet von den spitzen Schreien der Frauen, die erschrocken die Hände vor die Münder pressten.
    Mit zornbebender Stimme rief Gerhard II.: »Sprecht es ruhig aus, Vetter, es wäre mir ein Vergnügen, diese Sache gleich hier zu klären!«
    »Sofort aufhören!«, verlangte Willekin Aios laut und stellte sich mit ernster Miene und beschwichtigend erhobenen Händen zwischen die Grafen. »Streicht umgehend die Waffen, ich werde nicht zulassen, dass diese St.-Veitsmarkts-Versammlung in einem Blutbad endet.«
    Gerhard II. stand noch immer unbewegt da, und auch Johann II. ließ seinen Vetter nicht aus den Augen, doch schließlich gebot er seiner Gefolgschaft Einhalt. Sein Vetter tat es ihm nach.
    Endlich setzten sich Johann II., Margarete, Adolf V. und dessen Männer in Bewegung und steuerten die noch unbesetzte linke Ecke mit den für sie bereitstehenden Sesseln an.
    Auch Gerhard II. ließ sich mit grimmigem Blick auf seinen Platz fallen.
    Willekin Aios atmete sichtlich auf und verkündete: »Die Sitzung beginnt in wenigen Augenblicken. Ratsbote, schließt die Tür.«
    Die Stimmung war angespannt. Noch immer herrschte Stille im Saal, durchbrochen nur von dem knarzenden Geräusch der schweren Flügeltür, die nun geschlossen wurde.
    Johannes vom Berge war bei dem Anblick der hünenartigen und kampfbereiten Ritter sichtlich in seinem Sessel zusammengesunken. Voller Unruhe und mit angehaltenem Atem wischte er sich abermals den Schweiß vom Gesicht. Es hatte etwas äußerst Beunruhigendes, inmitten von schwer bewaffneten und zudem verfeindeten Rittern zu sitzen. Wie immer, wenn er angespannt war, holte er auch jetzt seinen Fürspann aus der Tasche und fingerte daran herum. Irgendwie hatte diese Mantelspange etwas Beruhigendes an sich – vielleicht nahm er sie deshalb so häufig zur Hand.
    Willekin Aios versuchte sich zu konzentrieren. Auch er war überaus beunruhigt – schließlich fand nicht jeden Tag eine Sitzung mit allen fünf Grafen statt, und schließlich wurde nicht jeden Tag eine Hexe verbrannt. Wenn er allerdings gewusst hätte, was ihn heute noch alles erwartete, hätte er sein Amt in diesem Moment wahrscheinlich mit Freuden niedergelegt.

11
    Godeke irrte nun bereits seit zwei Tagen durch den Wald. Da er bewusstlos gewesen war, als man ihn in die Hütte gebracht hatte, war es ihm unmöglich zu bestimmen, in welcher Richtung Hamburg lag. Doch so wenig Erfolg versprechend seine vagen Vermutungen auch waren, es gab für ihn nur eine Möglichkeit: Er musste weitergehen!
    Und so schlug er sich durch das Dickicht des Waldes, immer in der Hoffnung, einen Weg zu finden oder einen Reisenden zu treffen, bei dem er sich erkundigen konnte. Millie trottete stets hinter ihm her, den toten Thiderich auf dem Rücken. Die ersten Stunden hatte Godeke noch den abgerissenen Strick um ihren Hals mit seiner Rechten umklammert, doch schon bald war ihm klar

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