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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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geworden, dass Millie ihm auch so folgen würde, egal, wohin er ging. Sie wollte offenbar ebenso wenig allein sein wie er.
    Nach weiteren Stunden erfolglosen Herumirrens begann Godekes Hoffnung zu schwinden. Würde er je aus dem Wald herausfinden und seinen Freund unter geweihte Erde bringen können? Nach einiger Zeit geschah, was geschehen musste: Der Leichnam auf Millies Rücken fing an, süßlich zu riechen. Um den Gedanken an seinen verwesenden Freund zu verdrängen, flüchtete sich Godeke in Erinnerungen.
    Er dachte daran, wie er den achtzehn Jahre älteren Thiderich kennengelernt hatte: Vor über zwanzig Jahren hatte seine Mutter Ragnhild Thiderichs Oheim, dem Smutje Heyno, den Auftrag erteilt, Albert von Holdenstede in Friesland aufzuspüren, nachdem man ihn zuvor für tot erklärt hatte. Heyno hatte seinen Neffen geschickt, dem es tatsächlich gelungen war, Godekes Vater zu finden. Auf ihrer Rückreise wurden Albert und Thiderich Freunde, und sie brachten sogar noch einen weiteren Freund mit – Walther. Die unzähligen Geschichten dieser gefahrenvollen Reise waren von den drei Männern während ebenso unzähliger durchzechter Nächte wieder und wieder vorgetragen worden. Thiderich, Albert und Walther waren seit jener Zeit unzertrennlich, und daran hatte sich bis heute nichts geändert.
    Oft war Godeke sogar deswegen neidisch gewesen, schließlich war er Alberts Sohn und sollte in seiner Gunst ganz oben stehen! Hier und heute jedoch, da er Walther und seinem Vater bald würde erklären müssen, auf welch schändliche Weise Thiderichs Leben ein Ende genommen hatte, schämte er sich seiner kindischen Missgunst.
    Mindestens zwei Stunden hatte er seinen Gedanken nachgehangen, als sich völlig unvermittelt ein Weg vor ihm auftat. Godeke war zunächst gewillt, an ein Trugbild zu glauben, als er auch schon auf der festgedrückten Erde des Pfades stand. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Wagenräder und zahlreiche Füße hatten sich tief in den Erdboden gedrückt; wie es aussah, war der Weg vor Kurzem noch befahren worden.
    Übermütig schlug er die Hände zusammen und schickte vor Erleichterung ein Gebet gen Himmel. »Herr, ich danke dir! Danke, dass du meine Füße gelenkt hast, danke für deine Güte und Gnade. Ich werde der Katharinen-Kirche Kerzen spenden – so viele, wie ich mir leisten kann –, das verspreche ich.« Neuen Mutes schritt Godeke voran. Fast hatte er sich schon mit dem Gedanken abgefunden, seinen Freund im Wald verscharren zu müssen, bevor dieser ganz zerfiel, doch nun wusste er, dass er Hamburg noch rechtzeitig erreichen würde.
    Nur einen Tag später lag die Stadt tatsächlich vor ihm. Die Nässe des gestrigen Tages, gepaart mit der Hitze des heutigen, hatte die Verwesung des Leichnams noch einmal vorangetrieben. Scharen von Fliegen umschwirrten Männer und Pferd, und der kaum auszuhaltende Gestank verursachte Godeke Kopfschmerzen.
    Erschöpft, blutverschmiert und stinkend, wie er war, hielt er auf das Millerntor zu. Millie trottete müde hinter ihm her. Ihre trockenen Hufe klapperten hohl auf dem harten Boden. Godeke hatte keine Ahnung, was er dem Torwächter erzählen sollte, damit dieser ihn nicht einfach festnahm – schließlich war er der Sohn eines Geächteten, der eine abgemagerte Stute mit einer stinkenden Leiche darauf bei sich führte. Er hätte es dem Mann wahrlich nicht verübeln können. Zwar hatte er versucht, sich eine Erklärung zurechtzulegen, doch es war ihm schlicht nichts eingefallen. Seine Glieder schmerzten, sein Magen war wie ausgehöhlt, und er konnte nur noch einen Gedanken fassen: Ich muss durch dieses Tor gelangen!
    Mit jedem Schritt, den er sich der Stadtmauer näherte, erwartete er, von dem Gebrüll des Wachhabenden oder gar einem Warnschuss aufgehalten zu werden, doch nichts dergleichen geschah. Ohne aufzublicken, passierte Godeke den steinernen Bogen. Laute Schnarchgeräusche drangen an sein Ohr. Gott musste ihm wahrhaftig zur Seite stehen, so viel Glück konnte einfach kein Zufall sein!
    Schnell ließ er das Heilige-Geist-Hospital und das Millerntor hinter sich und bog in den Rödingsmarkt ein. Er steuerte auf den Hopfenmarkt zu, schritt über die Brücke, welche die Neue Burg und die Katharinenstraße miteinander verband, und hielt vor der Katharinen-Kirche an.
    Hier bedeutete er Millie stehen zu bleiben, da er nichts fand, woran er sie hätte anbinden können. Dankbar klopfte er ihr auf den schweißnassen Hals. »Das hast du gut gemacht, altes Mädchen. Du

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